Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
war.
„Geht nur.“ Mahto stieß einen feierlichen Seufzer aus. „Ich muss jetzt zusehen, wie ich Herr über hundert Pferde werde.“
Sara, 2011
S
ara erwachte in ihrer Wohnung, eingerollt in die Bettdecke und mit einem zerknautschten Kissen in den Armen. Wie sie vom Taxi hierhergekommen war, wusste sie nicht mehr. Ihr Haar war zerzaust, ihre Kleidung roch muffig. Hundert Pferde, funkel n der Schnee und ein Lächeln, das kaum zu ertr a gen war.
Ihr Bewusstsein klammerte sich an diesen Bildern fest und ließ sie alles andere überlagern. Nein, sie wollte nicht an Dr. Wolger denken. Und nicht an die Wirklichkeit .
Der Radiowecker sprang an. Eine gut gelaunte Stimme ratterte die schier endlose Liste der Morgenstaus herunter. Sara angelte nach ihrem Handy, wählte die Büronummer und erwischte nur den Anrufbeantwo r ter.
„Mir geht es nicht gut“, nuschelte sie in den Hörer. „Kopfschmerzen, Übelkeit, das ganze Programm. Ihr müsst heute ohne mich ausko m men.“
Schon wieder halb schlafend legte sie auf. Mochte Ruth nur toben und fluchen. Selbst wenn die Kündigung drohte, konnte sie heute unmöglich ins Büro. Das reale Leben entglitt ihr zusehends. Noch vor kurzer Zeit hatte sie ihren Frust mit Shoppen bekämpft, hatte in teuren Restaurants gege s sen, nach möglichst origineller Zerstreuung gesucht und an einem Leben teilgenommen, das im Nachhinein gesehen nur aus Verwi r rung und falschem Glanz bestanden hatte.
Sie konnte nicht mehr. Sie wollte nicht mehr.
Taumelnd ging sie in die Küche, trank ein Glas Apfelsaft und legte sich wieder ins Bett. Hundert Pferde. Heute Nacht würden sie zusammen sein. Wenn schon nicht in diesem Leben, dann in der Vergangenheit.
Sie zog die Decke über ihren Kopf und glitt zurück in die Dunkelheit. Es geschah leicht. Völlig mühelos. Fast so, als wäre eines ihrer Leben dabei, zu verschwinden.
Naduah, 1844
„F
ür hundert Pferde hättest du viele Frauen bekommen können.“
„Ja, aber es wird niemals eine andere für mich g e ben.“ Sanft drängte er sie nach rechts. Im Schneetre i ben tauchte sein Zelt auf. Ein kleines, mit roten Schlangenornamenten bemaltes Tipi. „Du bleibst me i ne einzige Frau.“
„Jeder Lanzenträger hat mehrere Frauen.“
„Ja und? Dein Vater hat auch nur Huka.“ Nocona runzelte die Stirn. „Bestehst du etwa darauf, Gesellschaft zu bekommen? Würdest du dich wohler fühlen, wenn ich mehrere Frauen hätte?“
„Nein!“ Naduah war über den scharfen Klang ihrer Stimme verblüfft. „Ich kann nur nicht glauben, dass jemand wie du sich nur mit einer Frau zufrie dengibt .“
„Aber ich brauche nur eine Frau. Ich will nur eine Frau.“ Nocona zog die Robe fester um ihre Schultern zusammen. Als sie die Berührung seines Körpers an ihre m spürte, schoss ein heißes Prickeln durch ihren Schoß. Das Wissen, seinen Körper heute Nacht berühren und küssen zu dürfen, versetzte sie in ängstliche Entzückung.
„Niemals hat jemand hundert Pferde gegeben“, wisperte sie.
„ Ja. Weil n iemals ein Mann so geliebt hat wie ich.“
Naduah wusste weder ein noch aus vor Glück. „Was wird Mahto mit hundert Pferden anfangen?“
„Ein ige wird er für sich behalten. Andere verschenken oder einta u schen. Dann gibt es noch die Osage, die sich bestimmt ein paar zurüc k holen.“
Naduah hielt ihr Gesicht in den fallenden Schnee, hungrig nach jedem Sinneseindruck. Als sie das Tipi erreichten, schlug Nocona das Fell z u rück und ließ sie eintreten, wobei Naduah darauf achtete, nach Fra u enart linksherum zu gehen. Heiße, rauchige Luft schlug ihr entgegen. Nahe dem Feuer verharrte sie und sah sich um. Sie war hier, in seinem Zelt. Sie war seine Frau, und niemand würde sie in dieser Nacht stören.
Tatsächlich hingen die Bisonhörner über seinem Lager. Ein Anflug genüsslichen Schreckens befiel sie. Es waren riesige Trophäen. Glä n zend schwarz und so dick wie ihr Oberarm. Falls Mahto mit seinen Schaue r märchen recht hatte, musste sie sich auf einiges gefasst machen. And e rerseits war es unvorstellbar, dass Nocona ihr jemals Schmerzen bereiten würde.
Sie starrte ihn an, als er seine Robe über eines der aufgespannten Seile hing. Seelenruhig zog er das Jagdhemd aus, legte es auf einen Stapel Kleider, verstaute den Gürtel mit seinem Messer in einer Rohlede r schachtel und wandte sich ihr zu. Das dünne, ärmellose Wams spannte über seinen Brustmuskeln, an den Oberarmen trug er zwei mit Fransen verzierte
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