Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
untröstlich über den Tod seines treuen, alten Freundes. Er kehrte den Schmerz nicht nach außen, doch sie sah in jedem seiner Blicke, wie schlecht er sich fühlte. Gemeinsam mit Huka hatten sie das Herz seines Mustangs am Fluss begraben und jedes seiner Körperteile für das Wohl des Stammes genutzt. Das Fleisch war gege s sen worden, die Sehnen, Knochen und Haare hatte man in nützliche Dinge verwandelt. Selbst die Hufe waren zu Leim zerkocht worden, mit dem Mahto seinen bei dem Sturz beschädigten Bogen repariert hatte. Auf dem Pferd, dessen Fell nun in ihrem Tipi hing, war sie damals in Noconas Dorf geritten. Auf ihm hatte sie das erste Mal wahre Freiheit gekostet.
„Es geht vorbei“, sagte sie. „Alles braucht seine Zeit. Alles, was war, ist immer noch. Nur in einer anderen Form. Das hast du mir selbst beig e bracht.“
„Oh ja, mein Bein hat ohne Frage eine andere Form bekommen.“ Er rollte mit den Schultern, um seinen Nacken zu lockern. „Ich bin alt g e worden, kleines Feuer. Vielleicht wird es nie wieder richtig heilen. Man sagt, im Alter fände man Frieden, aber ich scheine nicht zu den Glückl i chen zu gehören. Alles knackt und knirscht. Was ist daran würdevoll? Letztens musste Huka mir beim Aufstehen helfen, weil mein Rücken sich anfühlte, als hätte sich ein Wolf darin verbissen.“
„ Es tut bald nicht mehr weh “, beschwor ihn Naduah. „Mutter ist eine gute Heilerin.“
„Ja, das ist sie.“ Ein Lächeln huschte über Mahtos sanftes Gesicht. „Aber was ist mit dir?“
„Mit mir?“
„Ich habe deinen Blick heute Morgen gesehen. Gibt es da nicht etwas, das du mir erzählen willst? Wonach verzehrst du dich?“
„Nach etwas, das unmöglich ist.“ Sie presste die Lippen aufeinander, nahm eine Handvoll Pemmikan aus der Rohlederschachtel, rollte die Masse zu einer Kugel zusammen und naschte davon. Das Gemisch aus getrocknetem Fleisch, geschmolzenem Fett und Walnüssen war gewö h nungsbedürftig, aber über die Jahre hatte sie gelernt, es zu mögen. „Sie we r den mich nie mit auf die Bisonjagd nehmen. Ich bin eine Frau.“
„Aha.“ Mahto fuhr damit fort, seine Flöte zu verzieren. „Du willst eine Jägerin sein. Das dachte ich mir. Dein Körper und dein Geist sind stark, du musst den arroganten Kerlen nur beweisen, dass du mithalten kannst.“
„Ich habe noch keine Frau gesehen, die Bisons jagt.“
Naduah schloss die Augen und sah sich auf Siyo über das Meer aus Gras fliegen. Die Erde bebte unter den Hufen abertausender schwarzer Le i ber, als müsste sie jeden Augenblick zerbrechen. Todesmutig jagte ihre Stute hinein in die Masse aus galoppierenden Büffeln. Muskeln und Sehnen spannten sich an, Pfeile zerschnitten sirrend die Luft. Scha u dernd sank sie in sich zusammen. Es war ein Traum. Und es würde ein Traum ble i ben.
„Wenn du ihnen beweist, dass du gut genug bist, wird man es dir e r lauben.“ Mahto legte eine Hand auf ihre Schulter. „Und du wirst keine s wegs die erste Frau sein, der das gelingt. Geh mit mir diesen Winter auf Jagd. Ich werde dir alles beibringen, was ich weiß. Im nächsten Herbst wirst du so weit sein, die Krieger zu begleiten. Nicht als eine der Frauen, die das Jagdlager bauen oder das Fleisch zerteilen. Sondern als Jägerin. Du wirst sehen, dass dein Wanderer gar nicht anders kann, als dich zu bewundern.“
Naduah verschluckte sich an ihrem Pemmikan. „Mein Wanderer?“
„Du warst heute Nacht mit ihm am Fluss.“ Ein Funkeln huschte durch die Augen ihres Vaters. „Wir alten Kojoten mögen den Ritt der Jäger verschlafen haben, aber Nachrichten wie diese verbreiten sich schnell im Dorf. War es schön, Tochter? Hat er dir das gesagt, was du hören wolltest?“
„Ja … nein … ich …“
Mahto schüttelte sich vor Lachen. Der gewohnte Schalk kehrte in se i ne Augen zurück. „Der Gedanke an dich wird Nocona während seiner gesamten Reise begleiten. Du hast ihn damals aus der Zwischenwelt befreit und ich glaube, dass du ihn auch durch seine große Suche führen wirst.“
„Was für eine große Suche?“
„Er wird nach der Jagd nicht mit den anderen Kriegern hierherko m men , sondern auf die Suche nach seinem heiligen Baum gehen. Zusa m men mit seiner Schwester. Sie werden weit nach Westen reisen, bis hin zu dem Meer, das die Weißen den Pazifischen Ozean nennen. Hat er dir nichts davon erzählt?“
„Nein.“ Ihr Herz verwandelte sich in einen Eisklumpen. Mahtos Wo r te trafen sie wie scharfe Pfeile. Unwirklich, schmerzhaft
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