Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Anschleichen.“
Wieder erschien dieses wölfische Lächeln auf seinen Lippen, das se i nen Weg direkt in die weiblichste Stelle ihres Körpers fand und ein glimmendes Feuer entfachte. Angesichts des feuchten Haares, das auf seinen Schultern klebte, kam Naduah ein Gedanke von wilder Verfü h rungskraft. Wäre sie nur ein wenig früher an den Fluss gekommen, hätte sie ihn vermutlich beim Schwimmen überrascht.
„Dann weißt du jetzt, dass du gut bist.“ Sie berührte den feinen Strich auf ihrem Oberarm. Dort hatte sich ihr Blut mit dem seinen vereint. Durch diese Wunde waren sie für immer vereint worden. „Wärst du ein Feind gewesen, würde ich nicht mehr leben.“
Er kam noch einen Schritt näher. So nah, dass sie den Duft seiner Haut wahrnahm. Erde, Rauch und Leder.
„Doch, das würdest du. Du hättest mich angesprungen und niederg e worfen wie eine Berglöwin. Habe ich mich eigentlich jemals bei dir b e dankt? Dafür, dass du mir zweimal das Leben gerettet hast?“
„Nein.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. Er war so nah. Viel zu nah. Und doch nicht nah genug. „Aber das ist nicht wichtig.“
„Doch, das ist es. Danke, Naduah. Danke, dass du mich zurückgeholt hast. Ich habe immer daran gedacht. Die ganzen Jahre.“
Moskitoschwärme summten in ihrem Bauch. Sie wollte etwas sagen, doch die Zunge klebte ihr am Gaumen fest. Mach schon , beschwor sie sich. Sag irgendwas, bevor es ihm zu langweilig wird . Endlich, nach einer gefüh l ten Ewigkeit, fiel ihr etwas ein . „Warum hast du dich mit Icabu gestri t ten?“
Sein Gesicht blieb reglos, doch sie wusste, dass diese Ruhe lediglich e i ne Maske war. An seinem Hals schwoll eine Ader an. „Er nannte dich eine blauäugige Krötenechse“, raunte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Er sagte, du seist eine Stechwanze in Gestalt einer Frau .“
„Was?“ Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Ihr habt wegen mir gestritten? Aber ich dachte … “
„Was dachtest du?“ Sein sanfter Blick ließ ihre Knie schmelzen. W a rum sie dennoch aufrecht stehen konnte, schrieb sie dem Umstand zu, dass der Rest ihres Körpers wie versteinert war. „Sag es mir. Was dac h test du?“
Sie rang nach Luft. Die Welt begann sich zu drehen. Sag es schon. Sag ihm die Wahrheit. Jetzt oder niemals. „Ich dachte, dass ich dir gleichgü l tig wäre. Dass du mich nicht wahrnimmst.“
„Natürlich habe ich dich wahrgenommen. Immer, wenn du mich nicht angesehen hast, habe ich dich angesehen. Was glaubst du, warum Icabu sich über mich lustig gemacht hat?“
War das hier Wirklichkeit? Stand er vor ihr und sagte diese Dinge? War er ihr so nah, dass sie sich fast berührten und sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte? Sie blickte auf die Lederbänder, die sich um seinen Hals schlangen. Vogelknochen, Hirschgrannen , Knochenplättchen und F e dern waren darauf aufgezogen. Sein Schurz und die Beinlinge waren schmucklos und einfach. Er trug bereits seine Jagdkleidung. Heute Mo r gen würde man die Krieger zusammenrufen. Der Winter nahte, Fleisch musste beschafft werden. Und nichts war gefährlicher als die Große Jagd auf ihren Bruder, den Büffel. Im Geiste sah sie Nocona bei diesem wi l den, gefährlichen Spiel, sah den Glanz seiner nackten Haut, die Wölbu n gen der angespannten Muskeln und die kraftvollen Schenkel, die sich um den Leib seines Pferdes pressten, während er den Bogen spannte. Eins mit dem Wind und dem uralten Akt des Tötens.
„Du hast so getan, als würdest du mich nicht wahrnehmen.“ Eine Hä r te lag in ihrer Stimme, die sie nicht beabsichtigt hatte. „Warum?“
Die Momente des Schweigens zogen sich wie eine Ewigkeit dahin. Sie sah auf seine Lippen, die hin und wieder leicht zuckten, und plötzlich stellte sich vor, wie es wäre, ihn zu küssen. Hier und jetzt im Nebel des Flusses.
„Du hast es mir nicht gerade leicht gemacht“, sagte er. „Wann immer ich versucht habe, dir nahe zu kommen, bist du mir ausgewichen.“
„Nein.“
„Oh doch.“
„Erinnerst du dich an das Fest vor vier Jahren?“
„Natürlich.“
„Warum stand ich während des Tanzes so weit weg von den and e ren?“
„Weil du allein sein wolltest?“
Nocona lachte. Der auffrischende Wind erfasste sein Haar und ließ es Naduahs Wange streifen. Schau d er durchflossen ihren Körper. Sie ve r suchte, nichts von ihrem inneren Aufruhr nach außen zu kehren, doch seinem forschenden Blick entging nichts.
„Nein“, sagte er. „Ich stand
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