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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Beruhigendes an sich.
    Auch als Apolonia nun ans Fenster trat und zu spielen begann, breitete sich ein Gefühl des Friedens in ihr aus. Nichts zählte mehr, nur noch die Noten, die Melodie … Sie musste an nichts denken außer an die klingende Schönheit, die ihr aus den Fingern schlüpfte.
    Eine Weile funktionierte es. Dann brach sie in einem schiefen Ton ab und ließ das teure Instrument einfach fallen. Missmutig blickte sie ins schwimmende Grau, das die Stadt überflutete. Apolonia spürte, wie ein tiefer Groll gegen alles, was es auf der Welt gab, in ihrem Inneren Form gewann. Sie hasste alles ! Den Regen und dieses Zimmer, sie hasste ihre Haare, die ihr auf der Haut kitzelten und kratzten, hasste diese Pute von einer Tante und ihren Onkel, hasste sogar Trude für ihre Einfältigkeit, hasste die Stadt und hasste ihren Vater.
    Mit einem wütenden Wimmern ließ sie sich aufs Bett fallen und drückte ein paar Tränen in ihre Kissen. Danach fühlte sie sich ein bisschen leichter.
    Sie blieb so im Bett liegen, während das Grau von draußen in ihr Zimmer hereinkroch, sich immer dichter um die Möbel hüllte und den Boden und die Wände überzog. Erst als Apolonia ein leises Trappeln auf dem Teppich hörte, richtete sie sich auf. Aus einem Loch in der stuckverzierten Wand waren drei Ratten geschlüpft und hoppelten auf sie zu. Vor dem Bett blieben sie stehen, stellten sich auf die Hinterbeine und quiekten zu ihr empor. Sie grüßten sie mit dem Bild der Königin, die auf der Weltkugel tanzt.

    Apolonia lächelte matt, als sie die Bitte der Ratten verstand. »Also gut«, murmelte sie, stand auf und hob ihre Geige auf. Die drei Ratten tummelten sich aufgeregt um ihre Füße. Apolonia begann zu spielen. Sie spielte eine schnelle, lustige Melodie, die sie eigentlich nicht besonders mochte - aber die Ratten liebten sie.
    Eine Weile lauschten sie ihr mit zitternden Schnuten. Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, begannen sie durcheinanderzuspringen. Sie tanzten.
    Apolonia lächelte breiter. Schneller ließ sie den Bogen über die Saiten gleiten, entlockte dem Instrument seine schönsten Klänge. Angezogen von der Musik, kletterten erst zwei, dann vier weitere Ratten durch das Loch in der Wand. Andächtig lauschten sie Apolonias Melodie, sprangen um ihre Füße und quiekten; wie Lachen klang es, wie Kichern. Die Ratten umtanzten Apolonia, und sie drehte sich in ihrer Mitte, getragen von der Musik, getragen von der kleinen, großen Freude rings um sie …
    Apolonia drehte sich und ihr Blick streifte das Fenster. Draußen, auf ihrem Fensterbrett, saß jemand. Ein Mensch.
    Vor Schreck ließ Apolonia den Bogen fallen. Die Gestalt war augenblicklich verschwunden. Nur der Regen kroch über die Glasscheibe.
    Die Ratten fiepten erschrocken auf, als der Geigenbogen einer von ihnen auf den Schwanz fiel. Apolonia schaute verwirrt zu ihnen hinab, da erklang draußen ein lang gezogenes Jaulen und die Ratten ergriffen alarmiert die Flucht. Wenn es etwas gab, wovor sie sich fürchteten, dann war es der schwarze Bernhardinermischling, der hin und wieder bei Apolonia schlief. Apolonia sah ihnen einen Moment lang nach, wie sie eine nach der anderen durchs Loch in der Wand schlüpften. Dann lief sie ans Fenster und blickte hinaus.
    Unten auf der Straße saß ein braunscheckiger Hund im Regen.
Die Bäume des Parks glänzten eisengrau und blattlos und von der nächsten Straßenlaterne troff ein Wasserstrahl. Keine Gestalt. Die Straßen waren menschenleer.
    Hatte sie sich den Schatten vor dem Fenster eingebildet? Dabei hätte sie schwören können, etwas gesehen zu haben … Ein neuerliches Jaulen riss sie aus ihren Gedanken. Der Hund auf der Straße schüttelte sich, dass silberne Wassertropfen aus seinem Fell spritzten.
    Apolonia warf sich einen breiten Schal um die Schultern, dann lief sie aus ihrem Zimmer Richtung Dienstbotenausgang, um Hunger hineinzuholen. Bestimmt hatte er wieder ein Dutzend Zecken. Und - wie immer - Hunger.
     
    Der braunscheckige Hunger machte es sich in Apolonias Bett gemütlich, nachdem er eine doppelte Portion Gulasch verdrückt hatte. Trude war überaus erfreut gewesen, als Apolonia sie um das Gulasch gebeten hatte, denn normalerweise wollte Apolonia kein Fleisch essen. Sie aß auch gar keins - jedes Mal wenn sie Trude ein Fleischgericht bringen ließ, war es für einen ihrer tierischen Gäste gedacht.
    Hunger streckte genüsslich alle vier Pfoten von sich und vergrub die Schnauze in den Kissen. Apolonia hatte

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