Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
erbärmlichen Insoli saß mir immer noch wie ein Stachel im Fleisch. Die Geräuschkulisse der Bar war plötzlich verebbt, sodass ich mir wie in einem Western vorkam. Es hätte bloß noch gefehlt, dass im nächsten Moment der Oberbösewicht mit seiner Gang durch die Saloontür stürzt und in die Luft schießt.
„Sie machen einen Fehler“, sagte Sandovsky zu mir, als die Handschelle zuschnappte. Sein Körper hatte sich beruhigt, aber sein Gesicht war um den Ziegenbart herum immer noch blass, und seine Miene verriet, dass er soeben etwas erfahren hatte, was sein ganzes Leben auf den Kopf stellte.
„Sie haben einen viel größeren Fehler begangen, als Sie Lilia ermordet haben“, knurrte ich ihn an. Anscheinend hatten mich die vielen Werwölfe in meiner unmittelbaren Umgebung etwas reizbarer als gewöhnlich gemacht.
„Ich habe Lilia nicht getötet“, widersprach er. „Ich wusste ja nicht mal, dass sie tot ist.“ Hatte ich mir das gerade eingebildet, oder zog tatsächlich so etwas wie ein Schatten des Bedauerns durch seinen Blick? Seine so vollen und leidenschaftlichen Lippen, die im krassen Gegensatz zu seinen kantigen Wangen und der eckigen Kinnpartie standen, wurden schmal. Warum in aller Welt fiel mir das alles auf?
„Welcher Bastard hat es getan?“, wollte Sandovsky wissen.
„Was kümmert Sie das überhaupt, Sandovsky? Sie war doch nur eine Ihrer Nutten“, erwiderte ich schroff und griff nach seinem anderen Arm. Der durch meinen Kommentar ausgelöste Schmerz, der sich in seinem Gesicht abzeichnete, verblüffte mich so sehr, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde innehielt. Diesen Moment nutzte Sandovsky und schlug mir durch eine rasche Drehung seines Oberkörpers seine rechte Hand mit der Handschelle gegen den Kopf.
Mein Schädel explodierte, als habe jemand darin gerade eine Fünftausend-Watt-Birne angeknipst. Durch den heftigen Schlag getroffen, fiel ich seitlich gegen die Theke, sodass er seinen Arm aus meinem Griff lösen konnte und sofort aus der Bar stürmte. Als ich mich mit dröhnendem Schädel aufraffte, merkte ich, dass ich mich sehr bald auf einen sehr großen blauen Fleck freuen konnte.
Die wahre Kraft eines Werwolfs wird einem erst in solchen Momenten bewusst – es ist, als würde man frontal gegen einen Sattelschlepper rennen, der einem in voller Fahrt entgegenkam.
Manley und seine Kumpane hatten sich im Halbkreis um mich aufgestellt und warteten mit glänzenden Augen gespannt darauf, was ich als Nächstes tun würde. Allerdings war ich in diesem Moment schon froh darüber, mich überhaupt aufrecht an der Bar halten zu können und nicht augenblicklich wieder umzufallen.
Einer der ganz Mutigen zog ein Jagdmesser – groß, silbern, mit feststehender Klinge – und fuchtelte mir damit vor der Nase herum. „Wo solls denn hingehen, Süße?“ Bei einem Blick in die finstere Runde merkte ich, dass alle das Emblem mit dem zähnefletschenden Wolfskopf trugen. Schönen Dank, Sandovsky, erst verpasst du mir eine, und dann lässt du mich hier zum Amüsement deiner Spießgesellen zurück. Na wunderbar.
Im Augenwinkel sah ich Sandovskys leere Bierflasche links von mir. Mit einer raschen Bewegung packte ich sie und schlug sie gegen den Tresen. Im nächsten Moment hielt ich den scharfkantigen Hals an die wild pochende Halsschlagader des Kerls mit dem Jagdmesser.
„Alle zurück, oder ich lass euren Kumpel hier verbluten!“, schrie ich. Verflixt, keine Pistole. Ich hatte keine Pistole dabei! Wie sagt man doch so schön: Neugier ist der Katze Tod? Und das bei neun Leben! Als Wölfin hatte ich mein einziges Leben absolut leichtfertig aufs Spiel gesetzt, als ich ohne Knarre in diese Gegend gekommen war.
Der Kreis der Werwölfe schloss sich so eng um mich, dass ich kaum noch meine Arme bewegen konnte, ohne jemanden anzustoßen. Sie amüsierten sich anscheinend prächtig über meinen Versuch, mich selbst zu schützen, und sie wussten, dass ich ihnen ausgeliefert war.
Jetzt hatte ich eigentlich nur noch einen Vorteil: Ich war kein Mitglied ihres Rudels. Keinen Platz in der Rangordnung zu haben, bedeutete automatisch Unklarheit hinsichtlich der Dominanz. Normalerweise benutzten die Werwölfe das Dominanzverhalten im Rudel, um Neulinge klein und gefügig zu halten. Wenn aber jemand der Meinung war, er stünde in der Rangordnung zu weit unten, konnte die Sache sehr schnell sehr hässlich werden.
„Hey, Neil, vielleicht solltest du ihr mal beibringen, dass es nicht schön ist, wenn sie so auf
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