Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
gestorben, als sie noch ein Baby war. Ich mochte sie.“
„Lassen Sie mich raten. Turteltäubchen in der Oberstufe?“
„Hey.“ Sandovsky drehte sich zu mir um und zeigte mit der Zigarette auf mich wie mit einem drohenden Zeigefinger. „Ich tue Ihnen hier einen Gefallen, also sparen Sie sich Ihren verdammten Sarkasmus. Nur weil Lilia eine Professionelle und ich ihr Zuhälter war, macht uns das noch lange nicht zu Abschaum, den sie wie den Dreck von ihren glänzenden Copschuhen wischen können. Wir waren nicht immer so.“
„Hatten Sie nicht gesagt, dass Sie nicht ihr Zuhälter seien?“, fragte ich nach.
„War ich auch nicht. Nicht mehr. Als Lilia in die Staaten kam, war sie sehr verängstigt. Sie hatte sich zum ersten Mal gewandelt und brauchte einfach jemanden, der ihr half zurechtzukommen. Wenn man sich jeden Monat für drei, vier Tage in einem stillen Kämmerlein verstecken muss, sinkt die Anzahl der seriösen Jobs, die man machen kann, gewaltig.“
Ich trat dicht vor ihn, um seine Augen sehen zu können. Wie zwei ruhige grüne Ozeane lagen sie in seinem Gesicht und zeigten erste Anzeichen für einen aufziehenden Sturm. „Und ich schätze mal, dass es Ihnen ähnlich ging. Wenn man stärker als ein Profi-Wrestler ist, im Dunkeln sehen kann, aber ständig zu übermäßigen Zornausbrüchen neigt, hilft einem das auch nicht bei der Arbeitssuche.“ Sein Körper strahlte so viel Wärme aus wie die Glut eines Lagerfeuers am Morgen danach, und ich bereute es bereits, dass ich so nah an ihn herangetreten war. Eigentlich bereute ich es nicht wirklich, aber das wäre wahrscheinlich die angemessene Reaktion gewesen.
Er nahm einen Zug und ließ den Qualm aus seinem Mund rollen. „Hey. Sie sind doch nicht so unwissend, wie Olya annahm.“ Dann drehte er seinen Kopf etwas, sodass er mir direkt ins Gesicht schaute. „Sie können es fühlen. Nicht wahr? Sie fühlen es, wenn der Mond zunimmt wie heute Nacht.“ Den Zigarettenstummel schnipste er weg. „Sagen Sies mir, Detective, haben Sie bei Vollmond schon mal getötet?“
Ich biss die Zähne zusammen, um ihm nicht zu zeigen, wie sehr mich seine Frage aus dem Konzept brachte. „Wir sprechen hier nicht über mich, sondern über Sie, Sandovsky. Also sagen Sie schon, wissen Sie, wer Lilia ermordet hat?“
„Nein“, antwortete er. „Nein, das weiß ich nicht, aber ich würde diesen Bastard liebend gern in die Finger bekommen.“
„In Lilias Blut hat man Drogen gefunden“, sagte ich. Für diesen Kommentar konnte ich gefeuert werden, und zwar zu Recht. Man kann einem Zeugen gegenüber nicht vertrauliche Details ausplaudern, nur weil er verdammt heiß aussieht.
„Was für Drogen?“, wollte er wissen.
„Das frage ich Sie, Sandovsky.“ Ich blickte ihm direkt in die Augen und setzte dabei den bohrenden Blick ein, der mir von Mal zu Mal besser zu gelingen schien. „Ich habe Ihre Akte gelesen. Sie sind von Zuhälterei auf Drogendeals umgestiegen. Weitaus lukrativer und weniger nervig, als sich den ganzen Tag mit ein paar Nutten herumstreiten zu müssen, vermute ich.“
Er kam auf mich zu. So dicht, dass ich eigentlich hätte zurücktreten müssen, aber ich bewegte mich keinen Zentimeter. Jetzt musste ich aufschauen, um ihm in die Augen sehen zu können. „Haben Sie Lilia die Drogen gegeben, die Sie umgehauen haben? Wenn ja, können Sie wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden.“ Nach diesem Satz wich ich in Richtung Bett zurück, um dem bedrohlichen Schatten seines riesigen Körpers zu entfliehen. „Lilia konnte sich nicht wehren, als der Freak über sie hergefallen ist. Erst als es bereits zu spät war. Haben Sie ihr die Drogen gegeben und so den Mord ermöglicht? Versuchen Sie deshalb mit der Nummer des betroffenen Exfreunds zu punkten?“
Sandovsky ballte die Fäuste, und seine hervortretenden Nackenmuskeln wiesen auf eine ungeheure Anspannung hin. Er war nur noch kurz davon entfernt, loszubrüllen und mir ins Gesicht zu schlagen. Mit einer flinken Bewegung schob ich meinen linken Fuß etwas nach vorn, um mein Körpergewicht auszubalancieren, und forderte ihn so schweigend heraus, den Versuch zu wagen.
„Drogen? Quatsch! In dieser Nacht hab ichs Lilia richtig besorgt. Sonst nichts“, erklärte er raubeinig. Sein Tonfall war gemein und gleichgültig, aber die Art, wie er das Gesagte hervorgestoßen hatte, verriet die immer noch in ihm sitzende Trauer. „Ich weiß ja, dass Sie ohnehin nichts anderes hören wollen. Es war ein guter Fick, und dazu
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