Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
Elektroinstallationen in diesem verdammten Laden sind seit dem Bau des Gebäudes nicht mehr erneuert worden“, sagte sie. „Und nachdem die Stadt den Strom abgedreht hatte, wurde alles nur immer wieder notdürftig repariert. Wir haben Glück, wenn wir mal einen Elektrokocher zum Laufen bringen.“
Der Geruch von Schimmel, Moder und über Jahrzehnte auf engstem Raum zusammengepferchten Körpern stieg mir in die Nase. „Warum wohnen Sie dann hier?“
Sie drehte sich um und warf mir einen wütenden Blick zu. „Man geht dahin, wo das Rudel hingeht. Das hier ist unser Zuhause.“
„Hört sich richtig spaßig an. Fast wie im Ferienlager, was?“, kommentierte ich Olyas Erklärung.
Daraufhin blieb sie stehen und sah mich mit einer Mischung aus Schmerz und Wut an. „Ich könnte natürlich auch allein in der Gosse leben wie der Insoli-Abschaum dieser Stadt oder es mir in einem russischen Arbeitslager gemütlich machen wie mein Bruder …“ Mit einer drohenden Geste drückte sie mir ihren Zeigefinger in den Oberkörper. „Wir hätten Sie nicht in einem Stück aus dem Velvet rausmarschieren lassen sollen. Wenn Sie im Quartier eines anderen Rudels sind, zeigen Sie gefälligst etwas Respekt.“
Sie starrte mich mit einem gepeinigten Blick an, dem ich aber standhalten konnte. „Ich bin kein Mitglied Ihres Rudels, Olya. Vielmehr bin ich hier, um herauszufinden, wer ein Mitglied Ihres Rudels ermordet hat. Mag sein, dass ich mir eine Menge von Ihrem Bruder gefallen lassen muss, um an Informationen zu kommen, aber von Ihnen muss ich mir verdammt noch mal gar nichts sagen lassen, Olya. Also nehmen Sie schleunigst Ihren Finger da weg.“
Sie knurrte. Ich knurrte. Für ein paar Sekunden standen wir uns noch gegenüber und starrten einander herablassend an. Irgendwann zeigte Olya dann auf die andere Seite des Kinos. „Dmitri ist hinter der großen Leinwand da drüben. Tun Sie, was Sie tun müssen, und verschwinden Sie dann bloß wieder.“ Damit drehte sie sich um und stürmte davon. Selbst als sie in Jeans, verdrecktem T-Shirt und mit dem Werkzeugkoffer in der Hand davonstapfte, wirkte sie immer noch wie eine verzogene Prinzessin.
„Danke für die Info“, sagte ich zu mir selbst.
Die Sitze des Kinos waren zum größten Teil herausgerissen und in den Ecken aufgestapelt worden. Ein paar hatte man zu Betten umfunktioniert, in denen jetzt unterschiedlich stark bekleidete Werwölfe schnarchten, die ich mir aber gar nicht allzu genau ansehen wollte. Die Luft war erfüllt von dem Geruch alten Zelluloids und noch älterem Staub. Ich folgte dem Pfad durch die Sitzreihen zur anderen Seite des Kinos und schlich mich dann auf die Rückseite der ramponierten Leinwand.
Es schien so, als hätte dort irgendjemand den Versuch unternommen, den Raum in eine Art Lounge zu verwandeln. Ein paar uralte, mit kariertem Stoff bezogene Sofas und ein Röhrenfernseher mit überdimensionalem Holzgestell und zersprungenem Bildschirm standen dort ohne erkennbare Ordnung herum. Auf einem der Sofas hing Manley, der feige Werwolf aus der Kneipe, und rauchte. Als er mich sah, entfuhr ihm ein „Ach du liebe Scheiße!“.
„Ganz ruhig, Manley“, sagte ich. „Hast du die Hauspost nicht gelesen? Ich bin eingeladen geworden.“
„Ach ja?“, meinte er ungläubig, drückte seinen Zigarettenstummel aus und stand auf. „Und von wen, bitte schön?“
„Erstens heißt es ‚von wem 4 mit M wie Manley, und zweitens hat mich Sandovsky eingeladen.“
„Hör bloß auf mit der Klugscheißerei, oder ich werd dir mal ne Lektion mit die Faust ins Gesicht erteilen“, sagte er.
Ich setzte meinen Kampfblick auf, um zu sehen, ob ich ihn immer noch durch bloßes Anstarren dominieren konnte. Manley fing sofort an, am ganzen Leib zu zittern. „Hör auf damit!“
Ich grinste. Es funktionierte noch. Fast wie ein Zauberspruch.
Manley knurrte. „Du sollst damit aufhören, hab ich gesagt!“
„Schluss jetzt, Wayne!“, dröhnte Sandovskys Stimme von irgendwo oben herab. Ich drehte mich um und sah eine kleine Treppe, die in das nächste Stockwerk zu führen schien. Sandovsky stand mit verschränkten Armen auf der Hälfte der Treppe.
Mit einem raschen Satz nach hinten entfernte sich Manley von mir und setzte sich wieder aufs Sofa. „Sony, Dmitri“, brummte er. „Wusste nicht, dass du die Bullerei in unser Quartier einlädst.“
„Die Bullerei?“, wiederholte ich lachend. „In welchem miesen B-Movie bist du denn aufgewachsen?“
„Ruhe, verdammt!“,
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