Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
herrschte mich Sandovsky in dem gleichen Ton an, mit dem er auch Manley, Olya und die anderen Redbacks herumkommandierte. „Ich hab Sie nicht eingeladen, damit Sie hier Ärger machen.“
„Sprechen Sie noch einmal in diesem Ton mit mir, Sandovsky, und ich schwöre Ihnen, Sie werden sich wünschen, dass ich niemals hergekommen wäre“, warnte ich ihn.
Er verdrehte die Augen. „Gehen wir nach oben.“ Als ich ihm auf den knarrenden Stufen nach oben folgte, konnte ich gar nicht anders, als auf sein Hinterteil zu starren – die schäbige Jeans betonte seinen Hintern genau an den richtigen Stellen. Als ich etwas bewusster über meine Entdeckung nachdachte, schaute ich beschämt nach unten auf die Treppenstufen.
Das mysteriöse Oben entpuppte sich als ein Lagerraum, der sich in der zweiten Etage über den gesamten Sitzbereich des Kinosaals hinzog. Überall standen von Mäusen angenagte Pappaufsteller von Filmstars, die vor dreißig Jahren mal populär gewesen waren, und in den schummrigen Ecken kauerten obskure Teile von Filmprojektoren und eine Snacktheke. Wie formlose Albträume aus einer längst vergangenen Zeit. Sandovsky schlängelte sich geschickt durch die Überreste und öffnete eine kleine Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Ich folgte ihm, konnte aber wegen der schlechten Beleuchtung fast nichts sehen, sodass ich gehörig aufpassen musste, um mir nicht die Füße zu brechen.
Das Zimmer, das wir betraten, war einmal der Vorführraum gewesen, und aus dem winzigen Fenster konnte man immer noch in den Kinosaal hinunterschauen. Als ich mich umsah, bemerkte ich neben einem Bett, das fast so akkurat gemacht war wie bei der Armee, einen verschlissenen Sessel und ein riesiges, aber arg mitgenommenes Bücherregal, das neben allerlei Krimskrams überraschenderweise auch ein paar Bücher enthielt.
Sandovsky schloss die Tür, zeigte auf den Sessel und sagte: „Setzen Sie sich, wenn Sie mögen.“
„Nein danke. Ich hab den Läusekamm verlegt, und die Apotheke hat schon zu, da krieg ich heute kein Flohpuder mehr.“
Er presste seine Lippen zusammen. „Sind Sie immer so zickig?“ Er war wieder ganz der Alte – der große, Angst einflößende Werwolf Sandovsky. Das Chaos aus leeren Flaschen und Zigarettenstummeln vor seinem Bett verriet mir aber, dass er nach unserem Gespräch im Velvet ein paar schwere Stunden mit viel Grübelei verbracht haben musste.
„Sie provozieren die Zicke in mir“, murrte ich. Er griff nach einer Zigarettenschachtel im Regal und nahm eine schwarze Zigarette heraus, die er dann mit dem Feuerzeug aus seiner Hosentasche anzündete. Dem kräftigen Zug folgte bläulicher Qualm. Dann hielt er mir auffordernd die Schachtel hin. „Wollen Sie auch eine?“
„Ich rauche nicht.“
„Hätte ich wissen sollen. Würde Ihnen aber guttun, sich etwas zu entspannen. Sie sind so zugeknöpft und angespannt, dass man Angst hat, Sie würden jeden Moment in die Luft gehen.“
Ich verschränkte demonstrativ die Arme. „Sandovsky, haben Sie mich hier antanzen lassen, um mir aus purer Langeweile zu erzählen, wie ich mein Leben leben soll, oder wollen Sie wirklich über Lilia reden?“
Sein Gesicht verhärtete sich, und er ahmte meine Haltung nach, indem er ebenfalls die Arme verschränkte, sodass seine Brustmuskeln unter dem Indian-Motorcycle-T-Shirt hervortraten. Er war kein perfekter Adonis, aber definitiv muskulös. Massiv, kantig und schlank würde es noch besser treffen – kurzum, ein durch jahrelange Zwangsarbeit und brutale Hinterhofschlägereien geformter Körper.
Ich bohrte meine Fingernägel in meine Oberarme. Konzentration, Luna! Lass dich nicht von diesem unglaublich gut gebauten Oberkörper von deinem Ziel ablenken!
Sandovsky sah mich an. Eine dünne Rauchfahne kräuselte sich aus seiner Nase. Seine Wut hatte sich in eine Art plastisches Amüsement gewandelt, und ich erkannte in diesem Moment, dass das sein Normalzustand war. Jeder hat eine Maske, die er mehr oder weniger erfolgreich aufsetzt, um nicht verwundbar zu sein. Meine Maske hieß Bitch. Sandovsky versteckte sich hinter einem sardonischen Lächeln.
„Okay, Miss Detective“, sagte er feixend. „Lassen Sie uns über Lilia sprechen.“ Er drehte mir den Rücken zu und ging zu dem kleinen Fenster hinüber, um in den Kinosaal zu aschen. „Lilia war ein guter Mensch“, begann er. „Sie stammte aus der gleichen Stadt in der Ukraine wie ich. Redliche Familie. Der Vater ist durch die Katastrophe von Tschernobyl
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