Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
Vielleicht können Sie mir ja sagen, was für eine Art Hexer das Blut seines Opfers anstelle seines eigenen benutzt?“
Hoskins blickte auf. „In der Literatur werden Hexen beschrieben, die die Energie direkt durch ihren Körper lenken können, ohne dass sie dafür ein Blutritual brauchten. Ich nehme an, dass sich ihr Angreifer auf diese magische Kunst versteht.“
„Das hört sich nicht gut an.“
„Oh nein, ganz und gar nicht“, stimmte er zu. „Eigentlich ist es sogar äußerst bedenklich. Um auf diese Weise Kraft zu gewinnen, müsste Ihr Hexer seinem Körper fast die ganze Zeit über Energie zuführen. Sein Körper müsste quasi immer und überall mit einem Zauberkreis oder etwas Ähnlichem in Verbindung stehen.“
„Er hatte Brandings auf der Haut“, sagte ich.
Hoskins nickte. „Ja, Hautverbrennungen wie diese Brandings könnten in dieser Hinsicht tatsächlich sehr effektiv sein. Es tut mir leid – ich kann Ihnen an dieser Stelle wirklich nicht weiterhelfen.“
Ich öffnete die Tür und ließ die Sonne des späten Nachmittags in Hoskins vollgestopftes Büro hineinstrahlen. „Glauben Sie mir, Professor, Sie haben mir mehr geholfen, als Sie sich vielleicht vorstellen können.“
Er tippelte etwas verlegen auf der Stelle und schien sogar zu lächeln. „Bis zum heutigen Tag frage ich mich, was Levinson eigentlich wirklich mit diesen Ritualen bezwecken wollte.“
Das wollte ich auch gern wissen. Auch wenn die zeitliche Abfolge der Cedar-Hill-Morde überhaupt nicht zu dem Mörder passte, den ich suchte, ähnelten sich Marcus Levinson und Lilias Mörder doch in vielerlei Hinsicht. Beide waren wahnsinnig und sadistisch und hatten sich mit schwarzer Magie eingelassen.
„Ich werde es herausfinden“, sagte ich zu Hoskins. „Und dann erfahren Sie es als Erster.“
13
Am nächsten Tag war ich in schlechter Verfassung. Angespannt und schmerzerfüllt durch den bevorstehenden Vollmond und meine unvermeidbare Wandlung schlich ich eine Seitenstraße bei der Uni entlang. Ein sehr feiner Regen, den man eher als feuchten Nebel hätte bezeichnen müssen, hüllte mich ein und legte sich auf meine Lider, sodass die neonfarbenen Werbeschilder in den Ladenfenstern vor meinen Augen verschwammen.
Ich war in der Devere Street angelangt, die noch ganz und gar das alte Nocturne City verkörperte – hohe Backsteingebäude, Eisenzäune um die Bäume auf dem Gehweg, gasbetriebene Straßenlampen und jede Menge Ladengeschäfte in den Kellergeschossen, deren Fenster mit Eisengittern gegen Einbrecher gesichert waren.
Das Second Skin war einer dieser Läden. Auf der kleinen schwarzen Fassade tummelten sich zähnefletschende chinesische Drachen, die sich um ein unverfängliches, handgeschnitztes Schild mit dem Logo des Ladens wanden. Eine grelle Leuchtreklame warb für Piercings und Tattoos, und in der Ecke des Ladenfensters war ein kleines Pentagramm zu sehen – seit jeher ein Zeichen für Hexen und Werwölfe, dass sie willkommen waren. Als ich die Tür öffnete, klimperten über mir unharmonisch ein paar Glöckchen.
Sofort nach meinem Eintreten tauchte ich in die dunkle Atmosphäre ein, die so typisch für diese Kellerläden war, und wurde vom nebligen Qualm der Räucherstäbchen umgeben. Das schlechte Licht ließ mich blinzeln. „Perry?“
„Hier hinten“, rief jemand mit rauer Stimme. Ich schlängelte mich um den Tresen herum – ein Ungetüm aus schwarzem Holz, das über und über mit Tattoo-Motiven verziert war – und ging ins Hinterzimmer. Dort waren die Wände ebenfalls mit Skizzen von Tätowierungen versehen. Neben ein paar Ölgemälden gab es nur zwei weitere Einrichtungsgegenstände: einen schwarzen Zahnarztstuhl mit Lederbezug und einen Skizzentisch. Perry kauerte mit dem Rücken zu mir über seiner Arbeit. Ein Pferdeschwanz lag wie eine geschmeidige schwarze Schlange auf seinem schmalen Rücken.
„Wie läuft s so?“, fragte ich zurückhaltend.
„Kann nicht klagen“, brummte er. Seine Hand bewegte sich, und ich konnte die untere Ecke einer Tuschezeichnung erkennen, auf der ein von Flammen eingehüllter Frauenarm zu sehen war.
„Ich muss dich was fragen, Perry“, sagte ich.
Er drehte sich auf seinem Stuhl herum und sah mich an. „Das ist ja mal was ganz Neues, Detective“, meinte er grinsend.
Die meisten Leute, die Perry zum ersten Mal sahen, konnten gar nicht anders, als ihn schockiert anzustarren. Manchmal wich ihre Neugier aber auch panischem Entsetzen. Die eine Seite von Perrys Gesicht
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