Nocturne City 02 - Blutfehde
diese barmherzige und gutmütige Version von Luna Wilder – herkam. Wahrscheinlich hing es mit dem verzweifelten Ausdruck in Stellas Augen zusammen, bei dem ich unweigerlich an ein gefangenes Tier denken musste. Stella erinnerte mich an mich selbst – an eine Zeit vor vielen Jahren, in der ich noch jung und verängstigt gewesen war und in der sich Millionen Wege vor mir aufgetan hatten, die allesamt nichts Gutes verhießen und denen ich ohne Karte und Kompass gegenübergestanden hatte.
„Es ist nicht so, wie Sie denken, Detective. Ich leide an Blutarmut. Mit Heroin habe ich nichts am Hut“, sagte Stella. Als Beweis kramte sie eine Pillenflasche mit dem Logo der Free Clinic hervor und reichte sie mir. Es war anscheinend so, wie sie sagte. Das Fläschchen enthielt große weiße Pillen, die laut Etikett gegen schwere Anämie verschrieben wurden.
„Wie …“, begann ich, aber dann kam mir Shelbys Kommentar über die Spender wieder in den Sinn. Meine Nase sagte mir zwar, dass Stella und Dusty nur gewöhnliche Menschen waren, aber die Sigille vor der Tür und die großen Einstichstellen in Stellas Arm halfen mir auf die Sprünge. „Sie verkaufen es …“, flüsterte ich erschrocken über diese Erkenntnis.
Stella nickte. „Das ist nicht illegal, also können Sie jetzt wieder gehen.“
Sie hatte recht – menschliches Blut an Hexen zu verkaufen war sicherlich legaler, als Crystal Meth zu kochen oder Ferraris zu klauen. Trotzdem konnte man mit Fug und Recht von einer legalen Grauzone sprechen. Vielleicht erlaubte ihr die Bluthexe als Gegenleistung für die Blutlieferungen die Teilnahme an den Zaubersitzungen … wie immer der Deal auch aussehen mochte, allein der Gedanke daran bereitete mir Unbehagen.
Ich half Stella beim Aufstehen und putzte mir dann die Knie ab. „Sie sollten sich vielleicht noch mal ganz genau überlegen, was Sie da eigentlich tun, Stella. Sie sind vielleicht kein Junkie, aber Sie beliefern Abhängige mit Stoff. Genauso wie der Dealer, der Bryan den goldenen Schuss verkauft hat“, gab ich zu bedenken und verschwieg meine Zweifel daran, dass die Todesursache wirklich eine Überdosis gewesen war.
„Ich weiß genau, was ich tue“, erwiderte Stella und presste ihre Lippen zusammen. „Wir verkaufen es ja nicht an die Gangs auf der Straße. Dusty und ich sind erstklassige Rohstofflieferanten.“
Ihre Erklärung verschlug mir die Sprache, sodass ich nur noch ein „Das mit Bryan tut mir leid“ murmelte und dann Shelby zurief, dass es an der Zeit sei zu gehen.
„Sie hat sich selbst als Rohstofflieferant bezeichnet!“, sagte ich auf dem Rückweg zum Revier verärgert zu Shelby. „So, als sei sie eine verdammte Sklavin! Und sie schien noch stolz darauf zu sein.“
„Sie ist eine Sklavin“, meinte Shelby in einem Ton, der mir verriet, dass sie Stella Howards Misere nicht im Geringsten interessierte. „Diese Blutspender sind wie Prostituierte, nur schlimmer. Weil sie ihr Blut verkaufen, wird Blutmagie überhaupt erst ermöglicht.“
Ich sah Shelby an. Sie fummelte gerade an einem ihrer Nägel herum, pustete dann über die Nagelspitzen und betrachtete sie anschließend unter dem flackernden Licht der vorbeihuschenden Straßenlaternen.
„Das interessiert Sie wohl alles nicht“, sagte ich. Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Shelby runzelte die Stirn.
„Warum sollte es mich interessieren? Solche Leute bekommen genau das, was sie verdienen. Sie erniedrigen sich schließlich freiwillig.“
„Wie ich sehe, hat das Sittendezernat Ihre Weltsicht wirklich positiv geprägt, was?“, brummte ich verärgert.
„Ich bin nur realistisch, Luna, und eigentlich hätte ich auch Sie nicht für eine Idealistin gehalten.“ Ihr Ton war spöttisch und herablassend. Am liebsten hätte ich in diesem Moment voll auf die Bremsen getreten, um dann genussvoll dabei zuzusehen, wie sich ihr keckes kleines Naschen ins Armaturenbrett bohrte.
„Ich bin keine verdammte Idealistin“, knurrte ich. Und da wir sowieso gerade unterschiedlicher Meinung waren, fügte ich hinzu: „Außerdem glaube ich, dass Bryan Howard nicht an einer Überdosis gestorben ist.“
„Woran denn sonst? Natürlich ist er an einer Überdosis gestorben!“, erwiderte Shelby bestimmt. „Wenn man erst mal sein Blut mit harten Drogen verseucht hat, ist man für die Bluthexen wertlos. Wahrscheinlich hat er sich absichtlich einen goldenen Schuss gesetzt, weil er als das stinkende Aas, das er am Ende nun einmal war, nicht mehr als
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