Nocturne City 02 - Blutfehde
Spender taugte.“
Shelby war wirklich die Letzte, die sich beim Thema Aas zu Wort melden sollte. Den arroganten Oberlehrerton in ihrer Stimme hatte ich schon oft gehört – meistens, wenn jemand mit Werwölfen oder über sie sprach –, und jetzt, da er mir aus ihrem Mund entgegenschlug, wusste ich nicht, wohin mit meiner Wut, und trat noch etwas heftiger aufs Gaspedal.
„Ein Suizid ist trotzdem kein Unfalltod“, argumentierte ich. „Ich bin der Meinung, dass wir uns das genauer ansehen sollten.“
„Und ich denke, wir sollten die Sache einfach abschließen, damit ich endlich an einem richtigen Fall arbeiten kann“, erwiderte Shelby. „Nur weil Morgan Sie an die Kette gelegt hat, heißt das nicht, dass ich mir meine Sporen nicht an einem echten Mordfall verdienen kann.“
Als in diesem Moment das 24. Revier vor uns auftauchte, trat ich entschlossen auf die Bremse und brachte den Fairlane an der Bordsteinkante zum Stehen. Dann lehnte ich. mich zur Beifahrerseite hinüber und stieß Shelbys Tür auf. „Raus jetzt!“
Mit schräg gelegtem Kopf fragte sie: „Warum soll ich hier aussteigen?“
„Weil hier das Revier ist“, antwortete ich. „Und wenn Sie Ihr kleines, selbstgefälliges Hinterteil nicht augenblicklich aus meinem Wagen schwingen, helfe ich nach!“
„Sie nehmen die Dinge viel zu persönlich“, schnaubte Shelby, während sie nach ihrem Mantel griff und aus dem Wagen stieg. Ohne zu antworten, trat ich aufs Gaspedal und ließ den Motor aufheulen.
„Was soll ich Morgan sagen, wohin Sie gefahren sind?“, rief Shelby, um den Motor zu übertönen.
„Sagen Sie Ihr doch einfach, sie soll mich am Arsch lecken“, erwiderte ich. Dann ließ ich die Kupplung springen und brauste davon.
6
Der Belladonna Club befand sich hinter der Nocturne University. Das baufällige Gebäude hatte früher als Bordell gedient und war vor einigen Jahren kurzerhand mittels einer Bühne, einer Bar und ein paar schmuddeligen Toiletten zu einem Club umfunktioniert worden. Während der Woche wurde er größtenteils von den Szenegängern unter den College-Kids aufgesucht, um Wochenende hingegen bestand das Publikum aus eher zwielichtigen Gestalten mit wenig Interesse an einer gesunden Lebensweise. Für jede Band, die es in Nocturne City zu mehr oder minder großem Ruhm bringen wollte, war ein Auftritt im Belladonna ein absolutes Muss.
Als ich den Club betrat, waren Trevor und seine Jungs noch mit dem Soundcheck beschäftigt. Meine Dienstmarke und die Glock hatte ich im Handschuhfach des Fairlane eingeschlossen, da ich keinen Dienst hatte und so wenig wie möglich auffallen wollte. Dank meiner schwarzen Jeans, den Militärstiefeln und der abgewetzten Jacke gelang mir das auch hervorragend – ich verschmolz praktisch mit den anderen Clubgästen.
Als Erstes ging ich zur Bar und bestellte mir statt meines Standardgetränks – Sodawasser mit einer Zitronenscheibe – einen Whiskey auf Eis. Eigentlich hatte ich dem Alkohol vor einigen Jahren fast vollständig abgeschworen, aber Trevor sollte sich meinetwegen keine Gedanken um seine Glaubwürdigkeit als Rocksänger machen müssen. Whiskey war in der Vergangenheit immer mein Lieblingsgift unter den alkoholischen Getränken gewesen. Insofern schien es mir recht passend, mein vermeintliches Rockerbraut-Image mit einem Glas zu unterstreichen, dass ich als bloßes Accessoire vor mir hertrug.
„Hey …“, erklang Trevors weiche Stimme aus den knisternden PA-Boxen, „… schön, dass ihr gekommen seid, Leute. Ich bin Wicked, und wir heißen The Exorcists.“
Prompt kam eine Flasche auf die Bühne geflogen und zerplatzte vor dem Mikroständer. Trevor ignorierte sie jedoch einfach und legte sich selbstbewusst den Gurt seiner schwarzen Fender-Gitarre um. Enthusiastisch begann er mit den ersten Akkorden von „Deadly Sin“. Ich seufzte, denn dieser Song war eine Ode an seine Exfreundin, die vor einiger Zeit mit dem ehemaligen Drummer der Band durchgebrannt war.
„Stimmt was nicht mit dem Drink, Lady?“, brüllte mich der Barkeeper an, als der Rest der Band in den düsteren Refrain des Songs einstieg.
Der Mann hinter der Theke war riesig und von Kopf bis Fuß mit Tattoos und Piercings übersät, sodass ich mir einen Kommentar ersparte und nur den Kopf schüttelte. „Kann ich Ihnen nicht verdenken“, schrie er. „Diese beschissene Musik würde mir auch die Lust am Saufen verderben!“
Statt dem Mann zu antworten, setzte ich mich auf einen der Barhocker und dachte nach.
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