Nocturne City 02 - Blutfehde
ist nicht an Sie weitergegeben worden?“, fragte ich verdutzt.
„In meiner Familie versteht das auch niemand. Mein Vater hat mich praktisch enterbt. Er meinte, es sei der Fehler meiner Mutter“, erklärte Shelby.
Ich konnte mich nur allzu gut in Shelby hineinversetzen, schließlich war ich auch aus der Art geschlagen – die einzige Werwölfin in einer Familie von Casterhexen, das einzige Kind eines trinkenden Vaters, die einzige Frau auf der Polizeiakademie.
„Ich kann gar nicht glauben, dass ich Ihnen das gerade erzählt habe“, brummelte Shelby. „Vergessen Sie’s, okay? Fakt ist, dass ich keinen Heller von meiner Familie sehe und deshalb allein klarkommen muss.“
Obwohl ich wusste, dass es wahrscheinlich ohnehin sinnlos war, pochte ich noch einmal gegen die Tür und ließ dann das Fliegengitter zufallen. „Warum sind Sie zur Sitte gegangen? Das ist eine harte Abteilung für eine Frau.“
„Genau deswegen. Es hat mich einfach genervt, dass es da keine Frauen gab. Ich hasse unausgeglichene Machtverhältnisse“, erklärte sie knapp.
„Lassen Sie uns gehen“, erlöste ich Shelby und bemerkte, wie sie sich sofort etwas entspannte. Die Straße war zwar nach wie vor menschenleer, aber Shelby machte trotzdem einen ziemlich eingeschüchterten Eindruck. Ich konnte ihre Angst sogar riechen – langsam kroch sie unter dem Schutzmantel von Deo und Parfüm hervor und verbreitete sich wie der Geruch geschmolzenen Kupfers. Wahrscheinlich hätte ich eine ebenso ausgeprägte Paranoia wie Shelby entwickelt, wenn ich als Kind einer ganzen Familie von Casterhexen ausgesetzt gewesen wäre. Ich hatte es damals glücklicherweise nur mit der Hexerei meiner Großmutter zu tun gehabt. Die hatte mich zwar gehörigen Respekt vor der Magie gelehrt, mir aber auch beigebracht, mich nicht zu sehr vor den magischen Scheußlichkeiten zu fürchten, die da draußen vielleicht auf mich lauerten.
Als wir gerade gehen wollten, öffnete sich hinter uns die Tür, und Shelby machte vor Schreck einen gehörigen Satz. Ich hingegen drehte mich blitzschnell um und griff nach meiner Pistole.
Hinter dem Fliegengitter stand eine Frau mit fettigem Haar und blinzelte uns an. „Was wollen Sie?“
„Sind Sie Mrs Howard?“, fragte ich und hielt ihr meine Dienstmarke unter die Nase. Ihr Blick verweilte ein paar Augenblicke auf der Marke, bevor sie mir wieder ins Gesicht sah.
„Ich hab doch angerufen.“
Hinter mir trat Shelby nervös von einem Fuß auf den anderen und schaute immer wieder in Richtung Straße. Ich warf ihr einen verärgerten Blick zu und wandte mich dann wieder Mrs Howard zu.
„Wen haben Sie angerufen?“
„Dirk Bukowski, meinen Bewährungshelfer. Der hat Sie doch hergeschickt, oder? Bestimmt hat er gesagt, ich hätte nicht angerufen, richtig?“
Ich wusste zwar nichts von diesem Bukowski, aber es verwunderte mich nicht sonderlich, dass das ungepflegte Gerippe von einer Frau, das hinter dem kaputten Fliegengitter stand, anscheinend polizeibekannt war und einen Bewährungshelfer hatte. Ihre Unterarme waren mit kreisförmigen blauen Flecken übersät, die offensichtlich von Kanülen mit großem Durchmesser herrührten. Außerdem bemerkte ich, dass ihre Hand, mit der sie die Türklinke umklammerte, recht zittrig war.
„Mrs Howard, wir sind nicht wegen Ihrer Bewährung hier. Ich muss mit Ihnen über Bryan sprechen.“
„Dann hören Sie auf, mich Mrs Howard zu nennen“, schnaubte sie. „Bryan ist mein Bruder.“
„Können wir das langsam hinter uns bringen, bitte?“, zischte mir Shelby von der Seite zu.
„Entschuldigen Sie uns einen Moment“, bat ich die Schwester des Toten und drehte mich zu meiner unliebsamen Partnerin um. „Was zum Teufel ist Ihr Problem, Shelby?“
„Ich dürfte überhaupt nicht hier sein!“, sagte sie inzwischen geradezu panisch. „Das hier ist das Gebiet der Bluthexen, und diese Frau da ist eine Spenderin!“, erklärte Shelby. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was sie mir damit sagen wollte.
„Ich habe weder die Zeit noch die Nerven für Ihren Bullshit“, brummte ich sie mit besonders tiefer Stimme an, um ihr zu zeigen, dass ich es ernst meinte. „Entweder kommen Sie mit der Arbeit als Mordermittlerin klar oder nicht. Und falls Sie das hier wirklich so fertigmacht, dann warten Sie doch einfach im Auto.“
Shelby erstarrte förmlich bei meinen Worten und verschränkte abwehrend ihre Arme vor der Brust. „Beeilen Sie sich einfach, Detective, okay?“
„Ich werde mein Bestes
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