Nocturne City 02 - Blutfehde
derart schweren Verlust so einfach hinwegkam. Das Mindeste, was ich daher jetzt für sie tun konnte, war, den Verantwortlichen für Vincents Tod zu schnappen.
„Danke für Ihre Hilfe, Valerie!“, sagte ich abschließend. „Wir sprechen uns sicher noch mal.“
Ohne zu antworten, drehte sich Valerie um und verschwand wie ein kleiner, trauriger Schatten in der Dunkelheit von Ghosttown.
„Was hat sie gewollt?“, fragte mich Shelby, als wir uns auf den Rückweg machten.
„Wir haben jetzt den Namen des Clubs und den von Vincents widerwärtigem Freund“, antwortete ich und behielt alles Weitere für mich, um Shelby keine Steilvorlage für einen weiteren ihrer sarkastischen und aufgeblasenen Kommentare zu geben.
„Gut, dann fahren wir da morgen als Erstes hin“, schlug Shelby vor.
Auf dem Rückweg zum Expressway kamen wir dummerweise am Crown Theater – dem alten Hauptquartier von Dmitris Rudel – vorbei. Es wirkte fast so, als habe sich seit meinem letzten Besuch noch nicht einmal die Reihenfolge der vor dem Eingang parkenden Motorräder verändert.
Erfüllt von einer Mischung aus Reue und Wut trat ich beim Anblick des Kinos das Gaspedal durch und donnerte ohne Rücklicht auf irgendwelche Schlaglöcher oder die Federung mit Vollgas zurück zum Expressway. Die Redbacks waren also immer noch in ihrem alten Quartier – allerdings nun ohne Dmitri. Minen Moment lang dachte ich darüber nach zurückzufahren, über was hätte ich ihnen sagen sollen? Würde mich dort überhaupt noch jemand kennen, nachdem der Großteil von Dmitris Vertrauten bei dem Überfall von Duncans Schlägertruppe getötet worden war?
Verdammt, verdammt, verdammt!, fluchte ich innerlich. Warum musste die Wunde immer wieder aufs Neue aufreißen? Entschlossen, endlich mit dieser Geschichte abzuschließen, atmete ich einmal tief durch und konzentrierte mich dann wieder aufs Fahren. Ich musste endlich akzeptieren, dass Dmitri Sandovskyder Mann, den ich wirklich liebte – nicht mehr zurückkommen würde. Mein einstiger Retter in der Not war verschwunden. Auf Nimmerwiedersehen …
9
Als ich nach dieser elend langen Nacht endlich zu Hause ankam, wollte ich nur noch in mein Bett fallen. Das kleine rote Cabrio in meiner Auffahrt ließ mich jedoch ahnen, dass meine Sehnsucht nach Ruhe und Entspannung vorerst unerfüllt bleiben würde. Mit einem Seufzer parkte ich den Fairlane auf dem Weg mit den zertretenen Muscheln und stieg aus dem Wagen. Ich fühlte mich schwach, verletzlich und leer – wie immer am Ende einer anstrengenden Schicht. Mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch stapfte ich zur Eingangstür, die erwartungsgemäß nicht verschlossen war.
Auf dem Sofa im Wohnzimmer saß Sunny mit einer Tasse Tee in der Hand und studierte die Zeitung vom Vortag. Als sie mich bemerkte, zog sie eine Augenbraue hoch. „Du bist aber spät dran heute …“
Die Wanduhr zeigte sechs Uhr morgens. Kein Wunder also, dass ich mich so erschöpft fühlte. „Was treibt dich denn her?“, fragte ich vorsichtig in einem möglichst neutralen Ton, während ich die Glock in der Schublade verstaute.
„Darf ich jetzt nicht mal mehr meine Cousine besuchen?“, erwiderte Sunny schnippisch und legte die Zeitung beiseite.
„Ich weiß nicht, ob du darfst“, brummte ich. „Kommt wahrscheinlich ein bisschen drauf an, was die Regeln von Rhoda Swann diese Woche besagen, oder?“
Sunnys Mundwinkel verzogen sich nach unten. „Du wirst wohl nie darüber hinwegkommen, dass unsere Großmutter mir erlaubt hat, wieder bei ihr einzuziehen, was?“
Krachend schmiss ich die Schublade zu. „Wie bitte? Erlaubt? Was redest du da, Sunny? Das ist ja eine wunderbare Verdrehung der Tatsachen! Rhoda hat mich zu diesem faulen Handel gezwungen, als ich sie um ihre Hilfe gebeten habe! Von erlauben kann gar keine Rede sein. Wundert mich aber nicht, dass sie sich in ihrem verschrobenen Gehirn die Dinge so zurechtlegt, wie sie sie braucht.“
„Luna“, sagte Sunny nach einem tiefen Seufzer. „Ob du es glaubst oder nicht, ich bin tatsächlich eine eigenständige Person. Und ja, ich treffe hin und wieder meine eigenen Entscheidungen!“ Empört sprang sie auf und marschierte in die Küche. Ich trottete hinter ihr her. Nachdem sie ihre Tasse abgespült und ins Regal gestellt hatte, drehte sie sich wieder zu mir um. „Du machst es dir doch am Ende genauso einfach wie Großmutter, indem du dir einredest, dass Rhoda mich manipuliert hat und ich nur deshalb wieder zu ihr gezogen bin. Du
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