Nocturne City 02 - Blutfehde
zwei Wangenküssen und streckte dann mir seine Hand entgegen. „Patrick O’Halloran, aber nennen Sie mich doch einfach Patrick. Shelbys Freunde sind mir immer willkommen.“
Beim Händeschütteln bemerkte ich, dass sein Griff nicht allzu fest, aber sehr bewusst gewählt war. Es schien fast so, als wolle er mich durch den Händedruck taxieren. Obwohl seine strahlende Erscheinung den Betrachter zu blenden wusste, ließen seine unnatürliche Solariumbräune und die kleinen Falten an Augen und Mund erahnen, dass sein Aussehen in natura nicht ganz so perfekt war, wie uns die Medienbilder glauben machen wollten.
„Wir sind alle sehr stolz auf Shelby und ihre beruflichen Leistungen“, begann er das Gespräch. „Sie hat uns auch ein paar beeindruckende Dinge über Sie erzählt, Detective.“
„Onkel Patrick, du kannst aufhören mit den Schmeicheleien. Luna wird sie dir sowieso nicht abkaufen.“
Patrick lachte herzhaft, und seine schneeweißen Zähne strahlten dabei so perfekt, dass man sie gut und gern als Landebahn-Leuchtfeuer für kleinmotorige Flugzeuge hätte benutzen können. „Ich fürchte fast, dass du recht hast, mein Engel“, lenkte er ein. „Sie ist wirklich ein kluger Kopf, nicht wahr?“
„Oh, gewiss doch. Shelby ist eine wirklich tolle Partnerin“, heuchelte ich und behielt lieber für mich, dass sie mitunter so toll war wie ein lästiger Husten oder ein kläffender Köter.
„Wir wollten dich bitten, für uns die Finanzen eines Nachtclubs zu durchleuchten, Onkel Patrick“, kam Shelby auf den Punkt. „Allerdings kann ich dir leider keine Einzelheiten dazu erzählen.“
Mit einer Geste bedeutete Patrick Shelby, dass sie sich nicht weiter zu rechtfertigen brauchte. „Natürlich. Du weißt doch, dass ich alles für dich tun würde, schließlich bist du meine Lieblingsnichte.“
Shelby war sichtlich nervös und verlagerte alle paar Sekunden ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Ich hingegen gab mir alle Mühe, meine entspannte Fassade aufrechtzuerhalten. Mit den Händen in den Jackentaschen, dem leicht gelangweilten Blick und der seitlich ausgefahrenen Hüfte hätte ich Eiswürfel spucken müssen, um meine Coolness noch zu steigern. Auf keinen Fall wollte ich mir anmerken lassen, dass ich Patrick O’Halloran eigentlich recht unheimlich fand. Mit dem maßgeschneiderten Hemd, der exklusiven Seidenkrawatte und dem sanften Händedruck wirkte er fast wie eine lebensgroße Ken-Puppe, die immer die richtigen Worte im richtigen Moment auf den Lippen hatte – eigentlich zu perfekt, um real zu sein.
„Der Laden heißt Bete Noire“, begann Shelby und gab ihm danach die Adresse. Patrick rief ein Datenbankfenster der Federal Trade Commission auf, gab Name und Anschrift des Clubs ein und erhielt die entsprechende Steuernummer. Dann drückte er die Wechselsprechtaste auf seinem Telefon, um mit seiner Sekretärin zu sprechen.
„Vera, können Sie bitte einen Bericht für die Steuernummer erstellen lassen, die ich eben aufgerufen habe?“
Nachdem sie etwas Unverständliches zurückgeplappert hatte, ließ er die Taste los und legte die Hände entspannt hinter seinen Kopf. „Setzt euch doch bitte, es wird einen Moment dauern. Du kannst mir ja in der Zwischenzeit erzählen, wie es dir in deiner neuen Stellung ergeht, Shelby.“
„Sehr gut“, antwortete Shelby mit einem unterwürfigen Ton in der Stimme. Je mehr Patrick aufdrehte, desto kleinlauter wurde seine Nichte. In gewisser Weise gefiel mir das sogar, da mir so für ein paar Augenblicke ihr Geplapper erspart blieb.
„Wie steht’s bei Ihnen, Luna?“, wandte sich Patrick an mich. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie Ihr Gesicht im Frühjahr die Titelseiten sämtlicher Zeitungen zierte. Haben Sie es schon verdaut, dass Sie diesen Mann töten mussten?“
Nachdem ich das durch seine Frage verursachte Stechen in meiner Magengegend verdrängt hatte, suchte ich sein Gesicht nach Hinweisen auf eine böswillige Absicht ab, aber die kameraerprobte Maske offenbarte nichts von seinen wahren Gefühlen.
„Nun, Patrick“, begann ich zögerlich zu erklären, „ich habe fast jede Nacht Albträume, in denen ich wieder und wieder mit ansehen muss, wie einer Freundin die Kehle durchgeschnitten wird und ein anderer geliebter Mensch beinahe stirbt. Meist wache ich dann schweißgebadet von meinen eigenen Schreien auf und habe den Geschmack von Alistair Duncans Blut auf der Zunge. Hört sich das so an, als ob ich es schon verdaut hätte?“ Für einen
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