Nocturne City 02 - Blutfehde
und biss sich im nächsten Moment verlegen auf die Unterlippe. Ich blinzelte vergnügt, aber meine Partnerin senkte beschämt den Blick, als würde sie sich am liebsten sofort den Mund mit Seife auswaschen.
Um die Wartezeit zu verkürzen, ahmte ich Vera nach, die ständig mit entnervter Miene schnaubend Luft holte, und atmete zu diesem Zweck tief durch die Nase ein. Shelby roch nach Teebaumöl, unter dem neben einem Hauch teurer Kosmetikartikel auch der typische nichtssagende Geruch eines gewöhnlichen Menschen hervorkroch. Vera hingegen verströmte einen eigenartig prickelnden Geruch, und auch das Blut in ihren Adern hatte eine fremdartige und weitaus schärfere Note.
„Jetzt versteh ich“, flüsterte ich Shelby zu. „Sie ist eine Hexe und du nicht. Kleine Rivalität unter Verwandten mit unterschiedlich viel magischem Blut in den Adern, oder was läuft zwischen euch beiden?“
Vera schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Bei diesem Getuschel kann ich mich unmöglich konzentrieren!“
„Ach, halt doch die Klappe, Vera!“, gab Shelby zurück. „Wenn du tatsächlich so genervt von uns bist, wie du tust, dann sag doch einfach Patrick endlich Bescheid, dass wir warten.“ Veras Gesicht lief leicht rosafarben an. Sie zögerte einen Moment. Dann verdrehte sie die Augen, drückte eine der vielen Tasten ihres Telefons, und einen Augenblick später ertönte eine geschmeidige Männerstimme durch den Lautsprecher des Apparats. „Schicken Sie bitte meine Lieblingsnichte rein, Vera. Danke!“
Kaum gaben die lichtundurchlässigen Glastüren am Ende der Lobby den Weg ins Innere von Patrick O’Hallorans Büro frei, marschierte Shelby los, ohne Vera eines weiteren Blickes zu würdigen.
„Passt irgendwie, dass sich Shelby mit einer Ihres Kalibers umgibt“, zischelte Vera mehr zu sich selbst als zu mir. Augenblicklich machte ich auf dem Absatz meines Stiefels kehrt, stützte meine Hände auf Veras Schreibtisch und fixierte sie. „Was genau meinen Sie mit einer meines Kalibers?“
Ihr Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Ich meine damit, dass sich Shelby offensichtlich gern mit minderwertigen Wesen und Leuten aus den unteren Schichten einlässt, um ihren … äh … Makel auszugleichen.“
Noch vor ein paar Jahren – oder sagen wir lieber: Noch vor sechs Monaten hätte ich Vera nach dieser Antwort, ohne zu zögern, das Grinsen aus ihrer Visage geprügelt. Mittlerweile hatte ich derartige Auseinandersetzungen aber einfach nur satt. Außerdem war ich Shelbys Gast und wusste, dass uns ihr Onkel nicht helfen würde, wenn ich das Gesicht seiner rassistischen Sekretärin in einen formlosen Fleischklumpen verwandelte. Anstatt Hand anzulegen, zeigte ich lediglich kurz auf die spitzen Schuhe an ihren Füßen und sagte: „Nur ein kleiner Hinweis, meine Liebe, echte Manolo Blahniks haben keine angemalten Plastikabsätze. Ich hoffe nur, dass Sie nicht den vollen Preis dafür bezahlt haben, sonst würde man nämlich denken, dass Sie – äh, wie sagt man doch so schön – nicht die Allerhellste sind.“
Das schien der eiskalten Vera gehörig die Sprache zu verschlagen. Reglos starrte sie mich mit einem leicht dementen Gesichtsausdruck an und schien den Mund gar nicht wieder zuzukriegen. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen folgte ich Shelby, die vor dem Eingang zu Patricks Büro, einer Holztür mit eingelassener Stahlfrontplatte, stehen geblieben war. Kopfschüttelnd fuhr sie sich mit der linken Hand übers Gesicht, während sie mit der rechten klopfte. „Sony, Luna, aber weder Vera noch der Rest meiner Familie kann besonders gut mit Menschen umgehen, die nicht das magische Blut haben“, entschuldigte sich Shelby. Ihr angewiderter Gesichtsausdruck wirkte fast so, als würde sie vollstes Verständnis dafür haben, wenn ich aufgrund dieses Vorfalls nicht mehr mit ihr an einem Tisch sitzen wollte.
„Das nervt dich wirklich, was?“, fragte ich, woraufhin Shelby das Gesicht verzog.
„Sagen wir einfach, dass ich weiß, wie es ist, das schwarze Schaf zu sein.“
„Dann sind wir ja schon zwei, Partner“, murmelte ich, während sich die Tür öffnete.
In entspannter Haltung, mit ausgestreckten Beinen saß Patrick O’Halloran hinter seinem Schreibtisch. Mit seinem weißen Hemd und dem Ordentlich-aber-doch-strubbelig-Look seines grau melierten Haars wirkte er auf den ersten Blick legerer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Nachdem wir eingetreten waren, stand er auf, begrüßte Shelby mit einer Umarmung und
Weitere Kostenlose Bücher