Nocturne City 02 - Blutfehde
NCPD für Disziplinarfragen verwendet wurden, befanden. „Wenn Sie weiter bei uns arbeiten möchten, Detective Wilder, dann würde ich Ihnen vorschlagen, dass Sie sich buchstäblich an einen Schreibtisch ketten und sich ausschließlich mit Arbeit befassen, die zu jemandem mit derart begrenzten zwischenmenschlichen Fähigkeiten passt. Der Überdosisfall, den Sie vorhin aufgenommen haben, wäre für den Anfang wahrscheinlich genau das Richtige.“
Gott allein weiß, wie gern ich mir Morgan in diesem Moment vorgenommen hätte. Alles in mir brannte darauf, ihren hässlichen modernen Tisch zur Seite zu schleudern, ihr den Kopf abzureißen und das neue Mobiliar mit ihrem Blut zu tränken.
Als ich aufstand, merkte ich, dass ich das heftige Zittern meiner Hände nicht mehr kontrollieren konnte. Die Wölfin in mir fühlte sich in die Ecke gedrängt, und ich musste mich extrem zusammennehmen, damit es keine Verletzten gab. Verletzte, keine Toten! Morgan hatte sich zwar gerade selbst auf den ersten Platz meiner Abschussliste katapultiert, aber dem Scheusal wirklich an die Gurgel zu gehen würde die Mühe nicht lohnen.
„Ist das dann alles, Ma’am?“, fragte ich im Flüsterton. Morgan schien einen Moment lang nachzudenken und nickte dann.
„Im Moment ja“, sagte sie und hielt mir meine Personalakte hin. „Bitte legen Sie die Akte auf dem Weg zu Ihrem Schreibtisch ordnungsgemäß ab.“
Es war mir unerklärlich, warum ich ihr bei diesen Worten nicht auf der Stelle den ausgestreckten Arm abriss. Die Jahre voller Selbstkontrolle und Zügelung, in denen ich mühsam gelernt hatte, die Wölfin zurückzuhalten, schienen sich bei ihrem falschen Grinsen und ihrer scheinheiligen Bitte in Luft aufzulösen. War ich etwa dafür zurückgekommen? Für diesen Job?
Nein, schoss es mir durch den Kopf. Matilda Morgan würde mich nicht dazu bringen, alles hinzuschmeißen. Auch tote Junkies und mit Messern bewaffnete Fixer konnten mich nicht kleinkriegen, und mit der verhassten Schreibtischarbeit würde ich schon irgendwie fertig werden. Ich wusste, dass ich ein verdammt guter Cop war, und das würde auch so bleiben. Niemand sollte Sunny von meinem erneuten Rausschmiss berichten müssen, und auch Dmitri würde, falls er irgendwann zurückkehren sollte, nicht erfahren, wie sehr mich sein Verschwinden aus der Bahn geworfen hatte.
Als ich Morgans Büro verließ, fühlte ich mich so leer und verletzt, dass ich nicht einmal mehr die Kraft hatte, die Tür hinter mir zuzuknallen. Stattdessen verwandte ich meine gesamte verbliebene Energie darauf, die Tränen, die schon in meinen Augen brannten, vor den Kollegen auf dem Flur zu verbergen. Erst als ich endlich den menschenleeren Aktenraum erreicht hatte, schluchzte ich los. Nachdem ich mich ausgeheult hatte, wischte ich mir mit dem Handrücken die Wangen trocken und trat wieder auf den Flur, wo ich Rick in die Arme lief.
„Der Typ, der Sie mit dem Messer angegriffen hat, ist gerade abgeliefert worden. Wir haben ihn ins Vernehmungszimmer drei gesteckt.“
Ich setzte schnell mein oberflächliches Hier-gibt s-nichts-zu-sehen-Lächeln auf und antwortete ihm: „Bin gleich da.“
Rick schaute mir mit schräg gelegtem Kopf in die Augen. „Alles in Ordnung?“
„Warum stellt mir eigentlich heute jeder diese dämliche Frage?“, rief ich. „Wenn ich nicht okay wäre, würde ich nicht im Dienst sein, oder?“
„Entschuldigung, dass ich gefragt habe“, brummte Rick und trat einen Schritt zurück. „Bringen Sie den Typen einfach nach vorn, sobald ich seine Daten aufnehmen kann.“ Dann drehte er sich um und stapfte wieder zum Empfangstresen zurück. Während ich ihm nachsah, fühlte ich mich wie ein Scheusal vom Kaliber Morgan oder schlimmer, weil ich ihn so angefahren hatte. In mir schrie alles danach, das Revier sofort zu verlassen, und einmal mehr wurde mir klar, dass ich noch nicht hätte zurückkommen sollen. Es wäre besser gewesen, auch noch den letzten Monat bezahlten Urlaubs zu nutzen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Aber dafür war es jetzt zu spät.
Während ich die Tür zum Vernehmungszimmer drei aufstieß, versuchte ich, diesen Gedanken wieder zu verdrängen. Noch einen Monat zu Hause rumzuhocken hätte meine Perspektiven keineswegs verbessert. Mein Leben hätte sich nur weiter um diese verdammte Uhr gedreht, auf der die Sekunden bis zum nächsten Vollmond heruntertickten. Es wäre mir nichts weiter übrig geblieben, als dem Moment der Wandlung entgegenzubangen, um dann
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