Nocturne City 02 - Blutfehde
Professor“, begrüßte ich ihn mit einem Lächeln, worauf er die Lippen spitzte und die Tür aufzog. „Einen ganzen Sommer lang haben Sie sich nicht blicken lassen, Detective. Wenigstens eine Postkarte oder eine dieser scheußlichen E-Mails hätten Sie mir doch schicken können.“
„Ehrlich gesagt, hatte ich nicht gedacht, dass Ihnen das so wichtig ist, Herr Professor.“
Nach einem kurzen Prusten antwortete Hoskins: „Wissen Sic, Detective, eigentlich fand ich unsere Treffen immer sehr bereichernd. Und da ich das von meiner Arbeit mit den diesjährigen Erstsemestern nicht gerade behaupten kann, ist mir Ihr Besuch eine willkommene Abwechslung. Aber kommen Sie doch erst mal herein.“
Ehrfürchtig betrat ich das penibel organisierte Arbeitszimmer des Professors, das er selbst gern auch als sein heiliges Reich bezeichnete. Seit meinem letzten Besuch schien sich hier nichts verändert zu haben; die Bilder und Stammesmasken hingen noch immer in identischer Höhe und in millimetergenauen Abständen zueinander an der Wand, und auch die Bücher standen wie eh und je exakt drei Zentimeter vom Rand entfernt und kerzengerade aufgereiht im Regal. Auf seinem großen Schreibtisch waren keinerlei Papiere oder Dokumente zu sehen, sodass man ohne den Flachbildschirm und den goldenen Kugelschreiber neben der Löschwiege fast den Eindruck hätte haben können, dass in diesem Büro nie gearbeitet würde.
Nach meinem Eintreten verschanzte sich Hoskins sofort wieder hinter seinem Schreibtisch, holte einen Stapel Aufsätze aus dem mittleren Schubfach und begann sie mit dem goldenen Kugelschreiber in einer unglaublich kleinen Handschrift zu korrigieren. „Nun, Detective, erzählen Sie … Wie geht es Ihnen? Und was führt Sie zu mir?“
„Danke der Nachfrage, Herr Professor, mir geht es gut“, antwortete ich, da es keinen Sinn gehabt hätte, Hoskins überall die kleinen und großen Tiefschläge der letzten Woche zu informieren.
„Eigentlich bin ich gekommen, weil ich gehofft habe, dass Sie mir vielleicht bei einer Sache in Bezug auf die Familie Blackburn weiterhelfen könnten.“
„Die Blackburns also …“, sagte Hoskins, während er mit einer sauberen Linie einen ganzen Absatz des vor ihm liegenden Aufsatzes durchstrich, was mich ahnen ließ, dass seine Studenten wohl nicht allzu viel zu lachen hatten. „Aber Sie wissen schon, dass ich Professor für Mythologie und nicht für Geschichte bin, oder, Detective?“
„Ich denke, meine Frage trifft genau Ihr Fachgebiet“, versicherte ich ihm in dem Wissen, dass Hoskins sowohl theoretisch als auch praktisch in Sachen Magie bewandert war. Vor vielen Jahren hatte er einen Bluthexer unterrichtet, der später als der Cedar-Hill-Killer bekannt geworden war. Dieser Bluthexer hatte damals vergebens das versucht, was Alistair Duncan vor einigen Monaten erfolgreich in die Tat umgesetzt hatte – er hatte den Dämon mit Namen Asmodeus in unsere Welt rufen wollen. Durch falsche Anschuldigungen des Cedar-Hill-Killers und übereifrige Ermittler hatte Hoskins damals einige Zeit als Tatverdächtiger im Gefängnis verbringen müssen, sodass er seither eher allergisch auf Worte wie Magie und Dämonen reagierte, insbesondere wenn sie aus dem Mund eines Polizisten kamen.
„Dann fahren Sie fort, Detective“, forderte mich Hoskins auf und schrieb eine vernichtende Bemerkung an das Ende des Aufsatzes, bevor er ihn zur Seite legte.
„Vor sehr langer Zeit – und fragen Sie mich jetzt bloß nicht, wann genau – haben die Casterhexen der O’Halloran-Familie den Blackburns etwas gestohlen. Um eine Reihe von Morden aufzuklären, muss ich jetzt wissen, worum es sich dabei gehandelt hat.“
„Hmm …“, begann Hoskins mit nachdenklicher Miene. „Wahrscheinlich hängt dieser Diebstahl mit den Morden zusammen, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts zur Gründung dieser Universität geführt haben.“
„Ja, das mag sein. Damals ist Gertrude Blackburn umgekommen, nicht wahr?“
Gertrude Blackburn war die Ehefrau von Theodore Blackburn gewesen, dem ersten Vertreter der Familie in Nocturne City. Zeitzeugen zufolge war Theodore Blackburn nicht nur ein sehr wohlhabender, sondern auch ein in jeder Hinsicht verdorbener und skrupelloser Geschäftsmann gewesen, der sich der schwarzen Magie zuwandte, um seinen Reichtum zu vermehren. Irgendwann beging die Hausangestellte Siobhan O’Halloran im Namen der weißen Hexen von Nocturne City ein Attentat auf die Hausherrin und schnitt ihr die Kehle durch.
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