Nocturne City 03 - Todeshunger
Mund und den grob geschnitzten Zähnen sah die Holzfigur gelinde gesagt sehr bizarr aus.
»Hex noch mal, was ist das denn?«, rief Bryson überrascht. »Eine Art Schrein, oder was?«
Ich griff nach den Kräutern und roch daran. Sie hatten einen scharfen Geruch, der mir nicht bekannt vorkam. Bei den Steinen schien es sich um einfache Kiesel zu handeln, wie Sunny und ich sie in unserer Kindheit für Tante Delia in ausgetrockneten Flussbetten gesammelt hatten. Die einzelnen Bestandteile des in der Wand versteckten Altars wirkten harmlos, sorgten in ihrer Gesamtheit aber trotzdem dafür, dass sich meine Nackenhaare aufstellten, als ich über ihre rituelle Funktion nachdachte.
»Ich habe keine Ahnung, aber es scheint relativ wichtig zu sein, da man es sonst wohl kaum in der Wand eingemauert hätte«, antwortete ich Bryson. »Um ehrlich zu sein, habe ich noch nie zuvor so etwas gesehen. Hexen benutzen normalerweise Caster, um ihre magische Energie zu bündeln …« Aber woher sollte ich wissen, was die Wendigos dazu benutzten? Ich raufte mir die Haare. Warum hatte ich Lucas nicht zu den magischen Praktiken seiner Clanmitglieder gefragt?
Weil er süße Augen und einen fantastischen Oberkörper hatte, du dummes Huhn!, gab ich mir selbst die Antwort auf die Frage- »Vielleicht ist das Ding ja wertvoll«, sinnierte Bryson. »Wie der Malteser Falke zum Beispiel – außen schwarz und innen ganz und gar aus Gold!«
»Mal sehen«, antwortete ich und griff nach der bizarren Figur.
Kaum hatten meine Finger sie berührt, riss ich Augen und Mund auf und wollte sie am liebsten wieder loslassen, denn meinen Körper durchzuckte magische Energie von ungeheurer Stärke. Sie erfasste mich wie ein Güterzug bei vollem Tempo und katapultierte mich in hohem Bogen nach hinten in die andere Ecke des Zimmers, wo ich auf dem feuchten, zusammengeknüllten Teppich landete. Die von der Figur ausgehende Magie bahnte sich unaufhaltsam ihren Weg in meinen Körper. Den mörderischen Zähnen eines Piranhaschwarms gleich bohrte sie sich immer tiefer in mein Fleisch und war dabei so finster, roh und überwältigend, dass sie mir die Luft aus den Lungenflügeln zu pressen drohte.
Ich schrie, und mein Rücken krümmte sich, als die Werwölfin mein Bewusstsein zu übernehmen versuchte. Die Figur pumpte weiter ihre unheilvolle Energie in meinen Körper. Verzweifelt schlug und trat ich unkoordiniert um mich, konnte aber meine verkrampften Finger nicht von dem faserigen Holz der Figur lösen. Nur mit Mühe erkannte ich durch die schwarzen Wirbel vor meinen Augen Bryson, der mit panischem Gesichtsausdruck an seiner Waffe hantierte. Mit fieberhaften Bewegungen tauschte er das Magazin seiner Pistole gegen ein anderes aus, das er aus der Tasche gezogen hatte, und legte auf mich an.
Wütend heulte ich auf, denn bei diesem gefährlichen Anblick gab es kein Halten mehr für die Wölfin. Obwohl es ohne Vollmond eigentlich unmöglich war, hatte ich in diesem Augenblick die Gewissheit, dass ich mich m wenigen Atemzügen verwandeln und Bryson zerfetzen würde. So wie der Bluthexer Alistair Duncan seinen Sohn immer wieder gegen seinen Willen in den Körper eines bluthungrigen Werwolfs gezwungen hatte, verlangte nun auch die in mir wütende Energie der Statue mit unerbittlicher Kraft meine Verwandlung in die Bestie.
»Nein«, presste ich leise hervor, während ein Schmerz, der tausendmal schlimmer war als die Qualen der Verwandlung bei Vollmond, mir die Luft zum Atmen nahm. Die Muskeln unter meiner Haut krampften, die Knochen vibrierten, und jede Faser in mir zitterte wie die Straßen und Gebäude der Stadt, wenn ein Erdbeben sie in die Knie zwingen wollte. »Nein!«, schrie ich mit gebleckten Zähnen, denn ich wollte mich nicht wandeln. Es mochte eine Zeit gegeben haben, in der ich mich nicht dagegen wehren konnte, aber diese Zeit war Vergangenheit.
Ich stemmte mich gegen die Werwölfin, und obwohl ich wie eine angeschlagene Gitarrensaite erzitterte, mobilisierte ich noch einmal alle Teile meines Körpers, die mir noch gehorchten, um die Wandlung zu unterdrücken. »Du hast keine Macht über mich!«, knurrte ich die Bestie an, während der Schmerz sein absolutes Maximum erreichte und ich das Gefühl hatte, in Stücke gerissen zu werden. »Ich habe keine Angst mehr!«
Dann ließ der Schmerz langsam nach, Stück für Stück. Auch meine Finger entkrampften sich allmählich, sodass ich den Schraubzwingengriff lösen und die Holzfigur wegschleudern konnte. Sie rollte
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