Nocturne City 03 - Todeshunger
dass du mir weiterhelfen kannst.«
»Du musst mir nicht immer wieder aufs Neue beweisen, dass du sehr beschränkte Ansichten hast, Luna, das weiß ich bereits. Sag schon, was wäre dein nächster Schritt?«
»Mein Gott, kannst du fies sein«, brummelte ich. »Aber wenn du so fragst … ich denke, ich würde zuerst versuchen, eine Verbindung zwischen den vier Opfern und mir zu finden. Dazu müsste man in der Vergangenheit der Ermordeten graben. Der einzige Trost besteht darin, dass man immer etwas findet, wenn man lange genug wühlt.«
Sie grinste. »Worauf warten wir? Die Bibliothek hat heute lange offen.«
Die Innenstadt-Zweigstelle der Nocturne-City-Stadtbücherei war genau, wie man sich eine Bibliothek vorstellte: grauer Granit außen, dunkler Holzfußboden, Geflüster und der Geruch Millionen staubiger Buchseiten innen. Die kolossale Bronzestatue Jeremiah Chopins in der Eingangshalle tat ihr Übriges, um das Bild einer altehrwürdigen Stätte des Wissens zu vervollständigen: Der Stadtgründer empfing uns mit einem Ehrfurcht einflößenden Blick, als wir die Treppen zu der eisenbeschlagenen Eingangstür hinaufstiegen.
Im Inneren des Gebäudes folgten wir der breiten Marmortreppe in den kühlen Keller, in dem sich neben dem Zeitungsarchiv und den Genealogien der Nocturne-City-Ahnenforschungsgesellschaft auch der Computerraum befand.
»Das wäre mit einem Polizeirechner so viel leichter«, murmelte ich, als ich mich an eins der ramponierten grauen Terminals setzte.
»Ach komm schon, die meisten Polizisten benutzen doch auch nur Google«, antwortete Sunny und hatte natürlich wieder einmal recht. »Gib mir zwei Namen, und ich werde schauen, was ich finde.«
»Priscilla Macleod und Jin Takehiko.« Aleksandr Belodis und Bertrand Lautrec behielt ich vorläufig für mich.
Nachdem wir uns ein paar Minuten lang still durch verschiedene Seiten gearbeitet hatten, sagte Sunny: »Die Macleods scheinen eng mit der Geschichte Nocturne Citys verbunden zu sein. Die Gesellschaft für Stadtgeschichte bietet seitenweise Informationen über die Familie.« Sunny gab neue Suchbegriffe ein und surfte wieder eine Weile. »Bei den Takehikos sieht’s ähnlich aus. Mariko Takehiko war nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste Immigrantin, die ein eigenes Unternehmen in Nocturne gründete. Die Familie hat noch heute eine Exportfirma für Bekleidung und spendet viel für humanitäre Zwecke.«
»Rührend … gesetzestreue Werwölfe mit dem Herz am rechten Fleck …«, brummte ich. »Schau dir die Macleods etwas genauer an.«
Über die Familie Lautrec fand ich ähnlich positive Meldungen: Den Medien zufolge handelte es sich um einflussreiche Bankiers, die den Großbanken in der Innenstadt Konkurrenz gemacht hatten – zumindest, bis Bertrand auf Abwege geraten und ins Drogengeschäft eingestiegen war. Über die Belodis, die vor einem Gewaltregime aus Lettland geflohen waren, tauchten alarmierende Artikel über ihre Bar im Hafenviertel sowie wenig konkrete Andeutungen über die Verstrickung der Familie in das organisierte Verbrechen auf.
Bei den Viskalcis sah es ähnlich aus.
»Macleod … Anwälte bis in die frühen Fünfzigerjahre«, fasste Sunny zusammen. »Ein gewisser Theodore Macleod verlor damals seine Zulassung, weil er Geschworene bestochen hatte. Danach verschwindet der Name aus den Medien …« Als sie einen weiteren Artikel überflog, stieß Sunny einen quiekenden Laut der Überraschung aus. »Hoppla, schau dir mal den Namen des Detectives an, der damals wegen eines Bestechungsfalls vor Gericht stand: Jim McAllister.«
Ich rollte meinen Bürostuhl näher an Sunnys Bildschirm heran und sah mir das Foto neben dem Artikel an. Wäre das über die sehr hohe Stirn gekämmte Haar nicht gewesen, das mit so viel Pomade fixiert schien, dass es ohne Weiteres einen Laserstrahl hätte ablenken können, hätte der Mann auf dem Bild mein ehemaliger Lieutenant vom 24. Revier sein können. Sogar die bis zur Hälfte gerauchte Lucky im Mundwinkel passte zu Mac.
»Hätte nicht gedacht, dass Lieutenant McAllisters Vater in die Skandale verwickelt war«, sagte Sunny leise.
»Damals waren alle in die Machenschaften der Rudel verstrickt«, entgegnete ich. »Die Stadt war in der Hand von Bullen, Gaunern und Werwölfen …«
Sunnys Ausführungen zufolge war das Vermögen der Macleods nach dem gerichtlichen Verfahren gegen Theodore versiegt. Danach war eingetreten, was auch viele andere Werwölfe in der zweiten Hälfte des zwanzigsten
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