Nocturne City 03 - Todeshunger
Eye. Wäre ich bei ihm geblieben, statt davonzurennen, als sei mir der Leibhaftige auf den Fersen, wäre ich jetzt eine von ihnen gewesen. Stolz, hasserfüllt und prahlerisch, genau wie sie.
»Warum ich?«, fragte ich Sunny laut und verzweifelt. Der Bibliothekar bedeutete uns, leise zu sein. »Ich bin keine Serpent Eye«, zischte ich ihr zu. Ich drückte entschlossen die Starttaste, griff mir die kopierten Seiten des Nocturne City Inquirers und stürmte im Laufschritt aus dem Zeitungsarchiv. Sunny schnappte sich meine Schultertasche und folgte mir.
»Luna, dafür muss es eine Erklärung geben.«
»Die Erklärung ist, dass Joshua mich in jener ersten Nacht nicht ficken konnte, und dafür will er mich jetzt fertigmachen,
egal wie!«, sagte ich. »Es ist seine Schuld, dass diese Mistkerle es auf mich abgesehen hatten!«
»Joshua ist vor sechs Monaten verschwunden, Luna!«, sagte Sunny. »Höchstwahrscheinlich sitzt er in einer Bambushütte in irgendeinem Land in Lateinamerika. Wie soll er vier Morde geplant und ausgeführt haben, wenn er sich vor dem FBI und der Börsenaufsicht verstecken muss?«
»Gut«, lenkte ich ein und zwang mich, wieder normal zu atmen. »Wenn wir davon ausgehen, dass Joshua nichts damit zu tun hat, gibt es trotzdem keine Verbindung zwischen den Morden, außer der Zugehörigkeit der Opfer zu den führenden Rudeln.«
»Familien«, sagte Sunny und stieß die Tür zu dem Raum auf, in dem die Gesellschaft für Familienforschung der Stadt Nocturne ihre Verzeichnisse lagerte. »Alle toten Werwölfe sind direkte Nachfahren der führenden Familien der ersten Rudel in Nocturne.«
»Ergibt Sinn«, gab ich zu, ein wenig genervt, weil ich den Zusammenhang nicht zuerst entdeckt hatte, »doch sie haben keinen Grund, gegen mich vorzugehen. Ich bin in den Augen der Serpent Eyes ein Niemand! Hex noch mal, ich gehöre nicht mal zu ihnen!« Knurrend trat ich gegen den nächsten Aktenschrank.
»Du vielleicht nicht, aber Joshua«, sagte Sunny »Vielleicht sind sie nicht an ihn herankommen und haben es deshalb auf dich abgesehen.«
»Das ergibt keinen Sinn – wir hassen einander wie die Pest, verdammt«, sagte ich, »und außerdem vergrößern Serpent Eyes ihr Rudel nur durch den Biss, nicht durch Geburt, also …« Als ich erkannte, wohin mich meine eigene Logik geführt hatte, gingen mir die Worte aus. »Scheiße.«
»Was ist?«, fragte Sunny und blickte von den Unterlagen einer weit zurückliegenden Volkszählung auf, die sie gerade durchblätterte.
»Die Serpent Eyes beißen Menschen und verwandeln sie so in ihre Partner oder Mitglieder ihres Rudels. So haben sie es schon immer getan …«, sagte ich. »Scheiße. Scheiße. Scheiße.«
»Hör auf zu schimpfen und erzähl mir lieber, was los ist!«, blaffte Sunny. Statt ihr zu antworten, vergrub ich mein Gesicht in den Händen und stöhnte. »Ich muss Joshua Mackelroy finden.«
Ich verließ Sunny und fuhr in den Außenbezirk, in dem Batista wohnte. Drei geschmacklose Fertighaustypen mitsamt der dazugehörigen Vorgärten, Zaunfarben und Briefkästen wiederholten sich dort dauernd. Batista war das einzige Mitglied meines Teams, dem ich voll und ganz vertraute – wahrscheinlich, weil er im Gegensatz zu den anderen nie ein Wort über die Tatsache verloren hatte, dass ich ein wenig »anders« war. In gewisser Weise machte ihn das zu einer puertoricanischen Version meines ehemaligen Lieutenants auf dem 24. Revier.
»Javier, du musst mir einen Gefallen tun«, überfiel ich meinen vollkommen überraschten Kollegen, nachdem er die Tür geöffnet hatte, »und ich muss dich bitten, mir keine Fragen zu stellen, ja?«
»Luna …«, sagte er verblüfft. »Geht es dir gut? Ich habe gehört, diese Putos haben dich übel zugerichtet. Solltest du dich nicht lieber ausruhen oder so?«
»Keine Bange, mir geht’s gut, Javier«, sagte ich. »Es ist wirklich wichtig, Javier. Hilfst du mir?«
»Du weißt, dass ich alles für die Leute aus meinem Team tun würde«, versicherte er und warf einen Blick über die Schulter. Außer den Gesprächsfetzen einer Late-Night-Show, die im Wohnzimmer lief, war im Haus nichts zu hören. »Marisol ist in der Küche«, sagte er. Mit einem Nicken forderte er mich auf einzutreten und führte mich in ein Arbeitszimmer, das offensichtlieh seine Frau eingerichtet hatte – die Bilder kleiner Kätzchen und der blassgrüne Teppich wollten so gar nicht zu dem Batista passen, den ich kannte. »Was ist los, Wilder?«
»Du musst dich in die
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