Nocturne City 03 - Todeshunger
Betrugsabteilung zu erkundigen, presste er ein genervtes Grunzen heraus und murmelte das Wort »Lift«.
»Vielen Dank. So nett hat mir schon lange keiner mehr den Weg erklärt!«, sagte ich mit einem falschen Grinsen und drängte mich mit einer Horde groß gewachsener Agenten in den Aufzug. Neben den akkurat gekleideten Schlipsträgern fühlte ich mich mit meiner Jeans, den Armeestiefeln und dem knittrigen David-Bowie-T-Shirt leicht fehl am Platz.
Die Betrugsabteilung wirkte noch trister, als ich mir ein FBI-Büro vorgestellt hatte: wenige Fenster, dafür aber indirekte Beleuchtung, kleine, mit grauen Stellwänden abgeteilte Arbeitsplätze für das Fußvolk und ein quadratisches Glaskastenbüro für den ASAC, den stellvertretenden Spezialagenten vom Dienst. Hin und wieder klingelte ein Telefon, oder einer der Anzugträger wuselte zum Faxkopierer neben dem Tisch mit dem Wasserspender, aber ansonsten war alles ruhig, ja fast leblos und steril, und die Atmosphäre erinnerte mich so an »Das Dorf der Verdammten«, dass mir augenblicklich ein kalter Schauer über den Rücken lief.
»Kann ich Ihnen helfen?«, sagte eine Stimme von der Seite, und als ich mich umwandte, blickte ich in das braun gebrannte Gesicht eines sehr gut aussehenden Anzugträgers in blauen Nadelstreifen und einem blauen Schlips, dessen Lächeln so strahlend war, dass mir die Umgebung plötzlich gar nicht mehr so dunkel erschien.
»Ich suche Agent Capra«, entgegnete ich mit einem ebenso freundlichen Lächeln.
Der Anzugträger pfiff. »Sind Sie sicher? Für mich sehen Sie nämlich viel zu lebenslustig und gut gelaunt aus, um auf der Suche nach Capra zu sein. Lassen Sie mich raten …« Er legte einen Finger auf die Lippen. »Sie sind eine verdeckte Ermittlerin, die gerade einen Raubkopierer-Ring hochgehen lässt, stimmt’s?«
»Ich arbeite nicht für das FBI«, sagte ich und grinste unwillkürlich. »Ihrer Andeutung entnehme ich, dass Capra nicht besonders beliebt ist?«
»Sagen wir so«, antwortete der Anzugträger, »Capras Lieblingsfantasie besteht darin, mit einer Eisenstange bewaffnet zehn Minuten mit Kenneth Lay in einem dunklen Raum allein zu sein. Das sagt genug über Agent Capras Persönlichkeitsstruktur aus, denke ich. Der Typ ist, kurz gesagt, ein ziemlicher Freak.« Den Exgeschäftsführer von Enron hätte sich gewiss so mancher gerne mal vorgeknöpft, aber für einen FBI-Agenten verbot sich natürlich allein der Gedanke daran. »Entschuldigen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mike. Special Agent Mike Hardy.«
»Luna Wilder aus Nocturne City«, sagte ich und schüttelte die mir dargebotene Hand. »Ich muss Capra eigentlich sehen, weil ich mit jemandem sprechen will, den er verhaftet hat.«
»Der Insider, der Ihnen den Tipp gegeben hat, tut mir jetzt schon leid, denn Capra wird Nein sagen! Selbst wenn Sie mit einem Haftbefehl gekommen wären, würde er sich mit Händen und Füßen wehren«, prophezeite Hardy.
»Woher wollen Sie wissen, dass ich keinen habe?«, fragte ich. Ich folgte Hardy zu dem Tischchen mit den Pausensnacks. Er bot mir ein Croissant an, das ich dankend annahm. Einen Augenblick später schob ich einen Marmeladendonut hinterher.
»Glauben Sie mir …«, begann Hardy auf meine Frage zu antworten, »… ich habe genug Erfahrung, um zu wissen, dass Polizisten wie Sie nicht mit Haftbefehlen, sondern nur mit einem Sack voller Hoffnungen und Träume kommen.«
»Haftbefehl hin oder her, ich muss Joshua Mackelroy sprechen. Es ist wichtig!«, redete ich auf Hardy ein, der sich einen Schluck Kaffee genehmigte und danach ein Gesicht machte, als sei es Abflussreiniger. »Wie wichtig denn?«
»Es stehen Menschenleben auf dem Spiel.«
Er stieß einen Pfiff aus. »Zweifellos wichtig. Aber Capra wird Sie nicht mit seinem Gefangenen sprechen lassen. Außerdem werden in ein paar Stunden zwei Marshals hier auftauchen und Mackelroy ins Pelican-Bay-Staatsgefängnis überstellen. Nächste Woche soll Anklage gegen ihn erhoben werden: Beihilfe zum Wertpapierbetrug bei der O’Halloran-Group.«
»Verdammte Scheiße!«, rief ich und trat gegen den Wasserspender, woraufhin Hardy eingeschüchtert zurückwich.
»Ganz ruhig!«, sagte Hardy. »Worum geht es denn überhaupt?«
»Es besteht eine Verbindung zwischen Mackelroy und vier Mordopfern aus Nocturne City. Um ein Haar wäre eine fünfte Person gestorben«, erklärte ich und merkte, dass meine Hände zu zittern begannen. »Er hat Informationen, an die ich sonst nicht
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