Nocturne City 03 - Todeshunger
Sommerzeit gehört? Du musst deine Uhr mal vorstellen.«
»Hast du mich aus dem Tiefschlaf gerissen, um mir einen wissenschaftlichen Vortrag zu halten, oder was soll das werden?«
Nervös fummelte ich an der Antenne des Telefons herum und dachte angestrengt darüber nach, was ich Bryson sagen sollte. Wenn ich für eine Person unter meinen ehemaligen Kollegen auf dem 24. Revier mal so etwas wie Hass empfunden hatte, dann für David Bryson – den taktlosen Typen mit den anzüglichen Kommentaren, der seinem Verhalten nach zu urteilen geistig in der Zeit seiner Oberstufen-Saufgelage stehen geblieben war. Seine Bitte um »Hilfe« konnte gut und gerne bedeuten, dass ich ihm dabei helfen sollte, seine Fallberichte zu archivieren.
»Wilder? Hör auf, dir Locken ins Haar zu drehen, und sprich mit mir, verdammt!«
»Mein Gott, ich kann gar nicht glauben, dass ich dich überhaupt angerufen habe«, murmelte ich. »Pass auf, David: Ich habe … ich habe mir die Sache überlegt.«
Ein Schnaufen am anderen Ende der Leitung verriet mir, dass Bryson gerade erleichtert aufatmete. »Meinst du das ernst?«, fragte er vorsichtig. »Hex noch mal, Wilder, du hast mir gerade den Arsch gerettet …«
»He!«, unterbrach ich ihn. »Ich werde maximal einen Blick in die Fallakte werfen, und das war’s dann auch schon, klar?«
»Wie du meinst, Wilder. Treffen wir uns einfach um sieben in Sam s Donut Bungalow.«
»Sieben Uhr ist verdammt früh.«
»Um diese Zeit fängt nun mal mein Dienst an, Hübsche. Kannst dir ja eine Gurkenmaske auflegen und ein bisschen Powernapping machen. Wirst sehen, danach fühlst du dich wie neugeboren.«
»Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du ein Riesenarschloch bist, Bryson?«
»Ja, meine Exfrau, zwei Freundinnen, meine Mutter und meine Tante Louise. Aber eigentlich zählt Tante Louise nicht, weil die sowieso nicht mehr ganz richtig im Kopf war …«
»Gute Restnacht dann noch«, brummte ich in den Hörer und legte mit einem Augenrollen auf.
Während der Fahrt in die Innenstadt fluchte ich innerlich über den zähen Berufsverkehr, was aber weder den Stau auflöste noch meine Laune verbesserte. Ich dachte kurz darüber nach, das Blaulicht aufs Dach zu klemmen, aber auf der Siren Bay Bridge hätte mich das auch nicht weitergebracht. Als dann noch der Fahrer des vor mir kriechenden BMW mit wilden Hupattacken versuchte, den Verkehr zu beschleunigen, platzte mir fast der Kragen. Das von der Wasseroberfläche der Bucht reflektierte Licht brannte mir in den Augen, sodass der Kopfschmerz nicht allzu lange auf sich warten ließ. Entnervt stellte ich das kratzige Radio des Fairlane an und stützte die Stirn auf dem Lenkrad ab. Als ich einige Monate zuvor das letzte Mal an dieser Stelle gestanden hatte, hatten mich die Umstände gezwungen, mich kopfüber von der sechzig Meter hohen Brücke in die Fluten zu stürzen. Dass ich nun beim ersten Versuch, dieses verdammte Ding erneut zu überqueren, gleich im Stau stecken blieb, konnte man getrost als Ironie des Schicksals bezeichnen.
Zu Beginn wurde das dumpfe Grollen, das von den Fundamenten der Brücke nach oben drang, noch von Pearl Jams »Oh where oh where could my baby be« übertönt. Aber schon nach kurzer Zeit wurde das Geräusch intensiver und verwandelte sich in ein nicht zu überhörendes, ächzendes Stöhnen. Plötzlich begann die gesamte Brückenkonstruktion zu vibrieren, und im Asphalt unter dem Fairlane zeigten sich kleine Risse.
Obwohl mir mulmig war, fühlte ich eine gewisse Erleichterung darüber, dass die bedrohlichen Geräusche und das unheilvolle Schwanken der Brücke dieses Mal nichts mit Magie zu tun hatten, denn die üblichen Symptome meiner Magiephobie – starke Kopfschmerzen, heftiges Magengrummeln und das Gefühl, von tausend Nadeln gestochen zu werden – blieben alle aus. Es handelte sich also »nur« um eine natürliche Katastrophe, die mich und die anderen zweitausend Autofahrer um mich herum gleich in die Tiefe reißen würde.
Dann begannen die Stahlseile der Brückenträger unter der Spannung zu surren. Der Krach der Hupen und Motoren verebbte, und die Brücke, schwankte mit jeder Sekunde heftiger. Schlagartig war es mit meiner anfänglichen Gelassenheit vorbei.
»Hex noch mal!«, zischte ich. Der Fairlane begann, langsam auf den Minivan auf der Spur links neben mir zuzurutschen. Kurz vor dem Zusammenstoß blieb der Fairlane stehen, und ein lauter Knall zerriss die Luft: Ein Bolzen hatte sich aus der
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