Noelles Demut
Wie hypnotisiert sah sie dabei zu, wie sich der Fleck ausbreitete, die Pappe die Feuchtigkeit aufsaugte. Ihre Hand zitterte, als sie sich ein Stück Pizza nahm und hineinbiss. Sie schmeckte köstlich. Tatsächlich war Noelle der Meinung, dass sie noch nie etwas so Gutes gegessen hatte. Dabei war sie vor einer Ewigkeit Souschefin in einem Sternerestaurant gewesen.
Nach dem zweiten Stück hörte sie auf zu essen. Die Gefahr war zu groß, dass sie sich übergab. Gerührt sah sie die Packung an. Nur Lydia wusste, dass sie Diavolo am liebsten mochte. Doch sie war davon überzeugt, dass die Pizza von Simon kam.
Noelle schloss den Deckel und klopfte gegen die Metalltür ihrer Zelle. Schmerzerfüllt zischte sie und schüttelte ihre pochende Hand. Tamara lächelte, als sie die Tür öffnete. Noelle reichte ihr den Karton. „Ich schaffe das nicht alles, und es würde mir das Herz brechen, sie wegzuschmeißen. Möchten Sie den Rest?“
„Simon hat zwar das ganze Revier versorgt, aber das bekommen wir hin. Versuchen Sie, etwas zu schlafen. Morgen haben Sie alles überstanden.“
„Woher kennen Sie Simon?“
Auf Tamaras Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „Er ist ein guter Freund. Gute Nacht!“
Noelle ließ sich aufs Bett fallen. Ihre Frage hatte Tamara nicht beantwortet. Alle schienen Simon zu kennen. Wer war er? Was war er? Freundlich, liebenswert, sanft , huschten ihr die Gedanken durch den Kopf. Noelle schmunzelte in sich hinein. Nein, das meine ich nicht. Was macht er beruflich? Woher kennt er so viele einflussreiche Leute?
Aber sanft ist er , sagte das rote Teufelchen auf ihrer Schulter. Ja, das ist er, und zärtlich. Noelle seufzte und hatte ein Lächeln auf den Lippen, als sie in einen erschöpften Schlaf fiel.
Simon war wütend, als sich die Aufzugtür zum Penthouse öffnete und Cassy vor ihm stand. „Du erklärst mir auf der Stelle, was der Schwachsinn soll.“ Er ging an ihr vorbei und ließ sich in einen Sessel fallen.
„Ich habe nicht die Absicht. Verschwinde!“
Simon blieb sitzen und sah sie eindringlich an. Er hatte keine Ahnung, warum sie so aggressiv auf Noelle reagierte. „Wenn ich diese Wut dir gegenüber nicht ablegen kann, werde ich nicht mehr dein Master sein können.“
„Ist das nicht sowieso der Fall?“
„Ich verstehe dich nicht“, presste Simon hervor.
„Du willst mir doch nicht erzählen, dass du weiterhin in den Club gehst, wenn deine Freundin ein solches Trauma hat? Mir ist sowieso ein Rätsel, wie du das hinbekommen willst. Glaubst du, du kannst deinen Sadismus einfach ausschalten? Oder willst du die Rolle ihres Peinigers übernehmen?“
Simon sprang aus dem Sessel und war im selben Augenblick bei ihr. Er schäumte vor Wut.
„Na los! Schlag zu! Stimm dich schon mal darauf ein, wie es in Zukunft sein wird.“
Entsetzt wich Simon zurück. Er ballte die Hände zu Fäusten und atmete zwei, drei Mal tief ein und aus.
„Du redest Unsinn“, sagte er mühsam beherrscht. „Sie ist weder meine Freundin noch werde ich meinen Sadismus unterdrücken.“ Simon hob den Zeigefinger und bohrte sich in Cassys Blick. „Aber mit dir bin ich fertig. Such dir einen anderen Master.“
Cassy schnappte nach Luft.
Als Simon zum Fahrstuhl ging, hörte er sie betteln: „Bitte, Herr, geht nicht!“
Simon reagierte nicht, drehte sich nicht einmal um.
„Simon, ich wollte dich nicht beleidigen. Aber das kann nicht gut gehen. Das musst du doch selbst sehen.“
Die Aufzugtür ging auf, Simon stieg ein, drückte auf 0 und drehte sich um. Voller Verachtung sah er auf Cassy herab, die auf dem Boden hockte und ihm flehend die Arme entgegenstreckte.
Ganz sanft streichelte seine Hand über ihre Wange. Seine Berührung war so warm, dass sich Gänsehaut auf ihrem Gesicht bildete. Noelle lächelte und schmiegte sich in seine große Hand. Seine dunkelbraunen Augen blickten sie voller Zuneigung an. Er öffnete den Mund.
Ein Schrei schien durch ihren Schädel zu jagen.
Sein Blick spiegelte ein solches Entsetzen wieder, dass es Noelle das Herz zerriss. Und dann sah sie Tom. Er stand hinter Simon, grinste höhnisch und präsentierte ihr das blutige Messer.
„Du gehörst mir! Keiner wird dich je wieder lieben!“
Noelle schrie. Tränen liefen wie Sturzbäche über ihre Wangen. Im Inneren verglühte sie an dem Schmerz, als sie Simon zusammenbrechen sah.
Ein krachendes Geräusch ließ sie zusammenfahren. Sie schrie noch immer, als sie schon aufrecht im Bett saß und die ältere Frau ansah, die
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