Nördlich des Weltuntergangs
wurde nicht mehr gearbeitet. Die besser gestellten Leute züchteten auf den Höfen zwischen den Hochhäusern Kohl und bewachten ihn Tag und Nacht. Auf den Balkonen hielten sie Hühner und in den Badezimmern Schweine. Die Menschen starben an Hunger und Krankheiten wie die Fliegen.
»Es steht beileibe nicht zum Besten«, sprach der Oberst düster. Er hieß Arkadi Lebedew, war aber, wie er sagte, nicht verwandt mit dem einstigen sowjetischen Botschafter in Finnland.
Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass zwei Männer dem ehemaligen Geheimdienst, dem KGB, angehört hatten. Der Oberst selbst war bei den Bodentruppen in Murmansk stationiert gewesen, und die beiden anderen stammten aus Archangelsk, einer von ihnen war Forstingenieur, der andere Traktorfahrer. Leider sprach nur der Oberst notdürftig Englisch.
Die Finnen wollten sofort wissen, wie das Leben in Murmansk, am Ufer des Eismeers, und in Archangelsk, an der Mündung der Dwina, aussah.
»Schlecht, sehr schlecht sieht es aus«, klagten die Männer. In Archangelsk hatte ein Feuer die halbe Stadt zerstört, und in der restlichen Hälfte wohnten nur noch wenige Menschen, da die Wasserleitungen, die Abflussrohre und die Heizungen in den letzten beiden Wintern aufgrund des Ölmangels kaputtgefroren waren. Die Einwohner waren in den Süden abgewandert oder hatten sich in den weiten umliegenden Waldgebieten niedergelassen. Mit einem Wiederaufbau der Stadt war noch nicht begonnen worden, ohnehin glaubte niemand, dass Archangelsk je wieder neu erstehen würde.
Um Murmansk stand es auch nicht besser. Die Stadt war völlig heruntergekommen. Eine halbe Million Menschen war seit langem ohne Arbeit und eine ungeheure Welle der Kriminalität spülte über die Ufer des Eismeeres. Gangster überfielen die letzten russischen Seeleute, weil sie ihnen vielleicht noch ein paar Münzen irgendeiner ausländischen Währung abpressen konnten. Morde waren an der Tagesordnung, und die Miliz war gegen die Verbrecherbanden machtlos. Die Kriminellen hatten alles fest im Griff, sie waren in der Lage, nach Belieben Hafenkais zu sperren und die Routen der Schiffe zu bestimmen. Wer sich widersetzte, bezahlte seinen Mut mit dem Leben. Zur Abschreckung hatten sie ein sechzehnstöckiges Wohnhaus mitsamt der Bewohner in die Luft gesprengt. Um die Verbrecher zu zügeln, war aus Moskau eine Strafexpedition geschickt worden, die tatsächlich einige Hinrichtungen vorgenommen hatte, aber viel hatte es nicht geholfen. Das bisherige Treiben ging weiter, wenn möglich, noch schlimmer.
Während des Gesprächs war das Feuer heruntergebrannt, es war an der Zeit aufzubrechen. Was tun mit den Russen? Pastorin Tuirevi Hillikainen fand, dass man sie aus humanitären Gründen nicht ohne Ausrüstung und Proviant in der Winterkälte ihrem Schicksal überlassen konnte. So wurde beschlossen, sie mitzunehmen. Zu Hause wollte man dann über das weitere Vorgehen entscheiden.
Bis zu dem Gemeinwald von Valtimo, den Eemeli Toropainen gekauft hatte, waren es noch knapp anderthalb Kilometer. Gegen Morgen erreichte die Karawane das Gebiet. Das Mondlicht verblasste, die Sonne ging auf. Die bereiften Bäume schimmerten. Der Frost hatte den nassen Schnee hart gemacht. Jetzt konnte man jedoch endlich die eigenen Waldwege benutzen, die am Kamulanmäki begannen. Dort waren vor ein paar Wochen Bäume für die Brennholzgewinnung gefällt worden. Der Rest des Weges, etwa ein Dutzend Kilometer, ließ sich mühelos auf dem ausgefahrenen Pfad bewältigen. Der Wallach erkannte die vertraute Landschaft und fiel in Trab, als man sich Ukonjärvi näherte. Er wusste, dass dort ein warmer Stall auf ihn wartete.
23
Asser Toropainens Leichenzug kam bei klirrendem Frost am Ukonjärvi an. Die Männer trugen den Sarg in den Speicher des Pfarrhauses. Die russischen Flüchtlinge wurden in die Sauna geschickt und mit Kleidung versorgt, dann bekamen sie zu essen: Elchfleischsuppe und kleine Maränen in Brotteig gebacken. Eine Unterkunft bekamen sie in Grünberg zugewiesen.
Assers Kiefernsarg wurde geöffnet, der Innensarg aus Zink herausgehoben. Dieser sah wie neu aus, war nicht verrostet und nicht einmal nennenswert oxydiert. Die Glasscheibe, die sich über dem Gesicht befand, wurde sauber gewischt. Nach langer Zeit blickte der Tote wieder durch das kleine Fenster nach draußen. Seine Augen hatten sich geöffnet und sein Gesichtsausdruck wirkte leicht verwundert.
Dann wurde der Deckel des Zinksargs aufgeschraubt. Asser Toropainen lag
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