Nördlich des Weltuntergangs
still auf seinen Kissen; seine Hände waren nicht mehr über der Brust gefaltet, sondern eine Hand war zur Seite geglitten und die andere ruhte unter dem Kopf. Vermutlich hatte sich der Körper beim Transport bewegt, oder der Tote hatte sich im Grab umgedreht? War er gerollt? Zeit genug hatte Asser gehabt, denn seit seinem Tod waren schon fast zehn Jahre vergangen. Angesichts dessen befand sich die Leiche in wirklich ausgezeichnetem Zustand. Sie stank nicht einmal besonders stark.
Assers Augenlider fielen zu, als er in den neuen Kiefernsarg gebettet wurde. Am folgenden Sonntag wurde er dann beerdigt, diesmal endgültig. Vor der Beisetzung weihte die Pastorin den neuen Friedhof. Es war eine schlichte Zeremonie: Tuirevi Hillikainen las ein paar Worte aus der Bibel, und der Frauenchor unter Leitung Taina Korolainens rezitierte Psalmen. Zur Weihe sprach die Pastorin die Worte: »Dieser Friedhof sei dem allmächtigen Gott geweiht und diene all jenen als Ruhestätte, die auf den Morgen der Auferstehung warten. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.«
Nach dem Ritual begab sich die Pastorin in die Kirche, um Asser Toropainen erneut auszusegnen. Hunderte von Menschen waren gekommen, der Saal war voll. Kantor Severi Horttanainen ließ die Orgel dröhnen, und die Trauerrede war eindrucksvoll, wie man es von Tuirevi Hillikainen nicht anders gewohnt war. Die Leute sangen so laut, dass die Fensterscheiben klirrten. Als der Sarg zu Grabe getragen wurde, begann die Kirchenglocke zu läuten. Der Gehilfe Taneli Heikura zog den Strang und hörte erst auf, als Asser in die Erde gebettet worden war.
Asser Toropainen fand seine letzte Ruhestätte zu Füßen einer großen, jahrhundertealten Kiefer. Es war ein friedlicher Ort mit Blick auf den schönen Ukonjärvi-See. Asser war der erste Tote auf dem Gelände. Endlich war der alte Kirchenbrandstifter am Ende seines Weges angekommen. Friede seiner ruhelosen Seele, Amen.
Auf dem Rückweg vom Friedhof betrachteten zwei ehemalige KGB-Agenten die Kirche und unterhielten sich leise:
»Diese Kirche würde besser aussehen, wenn ihre Kuppel vergoldet und darauf das Kreuz der Rechtgläubigen, mit schrägem Querbalken, errichtet wäre.«
»Und wenn drinnen ein Ikonostas stünde«, meinte darauf der andere.
Die zwei ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes waren sich einig, dass diese Gegend eigentlich altes russisches Gebiet war. Nach dem Frieden von Schlüsselburg (im Jahre 1323) war die Grenzlinie von St. Petersburg bis nach Ostbottnien verlaufen. Historisch gesehen, war dieser Tempel vom Ukonjärvi eigentlich eine russische Kirche. Die beiden Männer erinnerten sich, dass auch nach dem Frieden von Täysinä (im Jahre 1595) die Grenze zwischen Russland und Finnland ungefähr durch dieses Gebiet verlaufen war.
Über die historischen Kenntnisse der russischen Agenten, besonders hinsichtlich früherer Grenzen und alter Friedensabkommen, braucht man sich nicht zu wundern. Derartiges wird den Mitarbeitern des Geheimdienstes in den internen Großrussland-Kursen vermittelt. So war es und so wird es immer sein.
Nach dem Begräbnis fand im großen Saal des Pfarrhauses ein Gedenkessen statt. Es gab ein Festmahl, bestehend aus Aufläufen, Fleisch, Schinken, gesalzenem Fisch und Hausbier.
Beim anschließenden Kaffee und Kuchen äußerte die Pastorin, dass der neue Friedhof noch sehr leer wirke. Assers blumengeschmückter Hügel sei sehr schön, aber er liege so allein mitten im rauen Wald und verlange irgendwie nach Gesellschaft.
»Stimmt, es ist nicht gut, wenn der Mensch allein ist«, unterstützte Severi Horttanainen den Gedanken.
»Aber wir haben keine eigenen Leichen, wir sind zu jung und gesund, um zu sterben«, bemerkte Taneli Heikura.
Eemeli Toropainen gab zu, dass der Friedhof mit nur einem einzigen Grab tatsächlich etwas dürftig wirke.
»Wir müssen uns weitere Tote besorgen«, meinte er sinnend.
Severi Horttanainen begann zu planen: »Wir haben doch Assers Zinksarg, den können wir ja wiederverwenden und uns damit die Leichen holen. Wir könnten zum Beispiel alle armen Leute aus der Umgebung kostenlos begraben. Und warum nicht auch welche von weiter her? All die Kommunen, die pleite sind, schicken uns bestimmt gern die Toten aus ihren Altersheimen, und wir können unseren Friedhof füllen.«
Als diese Überlegungen über Bestattung und Tote den Russen übersetzt wurden, begannen sie erregt miteinander zu tuscheln.
Assers Zinksarg wurde sorgfältig
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