Nördlich des Weltuntergangs
Verfolgung von den Ufern des Weißen Meeres nach Finnland gewandert. Als ungebildetes Raubtier war er vermutlich nicht vor politischer Unterdrückung geflohen, sondern eine Eingebung hatte ihn durch die Wälder nach Westen getrieben.
Der Bär war alt und krank. Bereits seit etwa zwei Jahren litt er an unangenehmen Herzbeschwerden. Sowie er eine Beute über eine längere Strecke verfolgte, begann sein Herz zu hämmern, und er musste die Jagd aufgeben. Die Krankheit lag in der Familie. Der Bär musste sich mit Aas und anderer provisorischer Nahrung begnügen. Wenn es ging, verschlang er Schafe oder sah in Reusen nach, die in den kleinen Einödseen vergessen worden waren. Er fristete kümmerlich sein Leben.
Auf der Straße nach Valtimo traf er eines Morgens im August den ältlichen »Fliegenden Engel«, der nicht mehr so schnell auf den Beinen war wie einst. Eine gute Beute, dachte sich der Bär und machte sich hoffnungsvoll an die Verfolgung.
Die beiden langten mit großem Getöse vor Eemelis Herrenhaus in Ukonjärvi an. Der »Fliegende Engel« schrie vor Entsetzen, der Bär hechelte mit heraushängender Zunge hinterher. Er war jedoch bereits so erschöpft, dass er neben dem Brunnen zu Boden sank, wobei er sich die Tatze aufs Herz drückte. Der »Fliegende Engel« stürmte ins Haus und berichtete, was passiert war.
John Matto wollte das Tier sofort erschießen, doch Seppo Sorjonen ging dazwischen. Er brauchte dringend einen geeigneten Patienten, an dem er die Bypassoperation üben konnte. Da sich Menschen kaum für medizinische Versuche hergaben, konnte der Bär als Ersatz dienen, dachte sich Sorjonen. Der Organismus war fast identisch mit dem des Menschen, ein gehäuteter Bär sah manchem Mann, der aus der Sauna kam, zum Verwechseln ähnlich, und auch die Lebensweise war, zumindest im Sommer, durchaus vergleichbar.
Der Bär bekam einen Sack über den Kopf gestülpt, in dem sich Fliegenpilzextrakt befand, der mit Äther und Spiritus angereichert war. Die beiden letzteren Narkosemittel hatte sich Sorjonen in der Schnapsbrennerei bestellt. Jalmari, dem Sohn der alten Brennmeisterin, war es gelungen, Äther aus Äthen herzustellen, das er zusammen mit Wasser und Schwefelsäure erhitzt hatte. Aus dem so gewonnenen Äthylsulfat und Äthanol hatte er Äther entstehen lassen, und der bleibt auch bei einem Bären nicht ohne Wirkung. Mehrere Männer hoben den betäubten Petz mit vereinten Kräften auf einen Ochsenkarren.
Seppo Sorjonen begann rasch mit den Vorbereitungen für die große Operation. Er beschloss, sie auf dem Karren durchzuführen, denn die Ladefläche hatte die gleiche Höhe wie der Operationstisch. Das Gefährt passte jedoch nicht durch die Tür des Krankenhauses, sodass er einen anderen Raum finden musste. Daher bat er die Pastorin, die Kirche als Operationssaal benutzen zu dürfen. Zunächst lehnte Tuirevi Hillikainen ab, denn blutige Handlungen in der Kirche schienen ihr nicht gottgefällig, und überhaupt, ein heidnisches Tier in den Tempel zu schleppen war alles andere als wünschenswert. Seppo Sorjonen verwies jedoch auf die Notwendigkeit, die medizinische Forschung voranzutreiben, und erinnerte die Pastorin daran, dass Blut in der Kirche durchaus eine Rolle spielte, man denke nur an die Bedeutung des Abendmahls. Er bekam seine Erlaubnis, und Tuirevi Hillikainen sprach sogar ein Gebet für das Gelingen der Operation.
Sorjonen holte sich fünf Helfer; nämlich zwei Sanitäter der Partisanenkompanie, außerdem Henna Toropainen-Heikura, Severi Horttanainen und die Pastorin. Die Assistenten mussten weiße Kittel anziehen. Alle wuschen sich sorgfältig die Hände und banden sich ein sauberes Tuch vor den Mund.
Dann holte Sorjonen die Instrumente aus dem Krankenhaus: eine Axt, eine Metallsäge, Klammern, eine Schere, einen Dolch und Nadeln, die er sich in der Apotheke von Kajaani besorgt hatte. Die sauberen Leinentücher für die Operation wurden vor Beginn sorgfältig gezählt. Wenn die Brusthöhle des Bären wieder geschlossen war, mussten die Tücher erneut gezählt werden, und wehe, wenn eins fehlte!
Schließlich wurde der Patient in die Kirche gekarrt. Der Wagen bekam seinen Platz in der Nähe der Kanzel, dort, wo sich die Gänge kreuzten. Der Bär wurde auf den Rücken gedreht, seine Gliedmaßen wurden mit breiten Lederriemen an den Eckbalken des Wagens und außerdem noch an den Kirchenbänken festgebunden. So wollte man ausschließen, dass er sich während der Operation losriss. Zusätzlich
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