Nördlich des Weltuntergangs
Aluminiumrohren des arabischen Bombers zusammengebaut. Dünnere Schläuche hatte er ebenfalls dort entnommen. Auch die meisten Instrumente hatte der Schmied angefertigt, nur die Injektionsspritzen und die übrigen feinmechanischen Geräte hatte sich Sorjonen in der Apotheke von Kajaani besorgt. Wegen der allgemein herrschenden Krise hatten sie enorm viel gekostet, und Einwegspritzen hatte es gar nicht gegeben. Die hygienischen Anforderungen deckte eine Wasserleitung ab, die aus dem Fluss kam, Strom erzeugte das Kraftwerk im Fluss, und für die Desinfektion der Instrumente verwendete Sorjonen kochendes Wasser. Aus der Schnapsbrennerei am Rätsinlampi wurde die erforderliche Menge Arzneispiritus geliefert. Dieser konnte sowohl äußerlich als auch innerlich angewendet werden. Die Fäden für das Vernähen von Operationswunden hatte Sorjonen von den Netzmachern bekommen.
In einer Ecke des Krankenhauses stand ein Bücherregal, in dem Seppo Sorjonen die Quellen seines medizinischen Wissens aufbewahrte, darunter zwei deutschsprachige Werke, eines über die inneren Krankheiten und das andere über die Thoraxchirurgie. Er besaß auch Bücher über Anästhesie und Chemie sowie natürlich ein paar allgemeinere medizinische Werke, ferner einen äußerst anschaulichen Bildband namens Anatomischer Atlas. Aus den unterstrichenen Stellen war zu ersehen, dass sich der Feldscher eingehend mit dem Gebiet befasst hatte.
An der Wand hing ein Vierfarbendruck, auf dem ein geöffneter Mensch in natürlicher Größe abgebildet war. Alle Organe waren deutlich zu erkennen – das Herz, die Lunge, die Leber, die Nieren und die Milz. Sorjonen zeigte seinem Patienten den Längsschnitt einer Herzkammer: »Du leidest an einer Unterfunktion des Herzens, insufficientia cordis. Diese wiederum wird verursacht durch eine Erkrankung der Herzkranzarterie, morbus cordis coronarius, mit anderen Worten, der Herzmuskel bekommt keine Zufuhr von Blut und Sauerstoff, da die Adern verengt und vielleicht schon verstopft sind. Die in diesem Stadium einzig erfolgreiche Behandlung wäre eine Bypassoperation.«
Eemeli Toropainen starrte auf die Abbildung mit dem aufgeschnittenen Herzen. Ihm wurde schwindelig.
»Ich denke, ich werde mich lieber in Helsinki operieren lassen«, brachte er heraus, drückte die Hand aufs Herz und verzog sich nach draußen.
Der Arzt folgte ihm.
»Du glaubst wohl nicht an ein Gelingen der Operation?«
Eemeli bemühte sich, den wohlmeinenden Sorjonen nicht zu beleidigen. Doch der provisorische Operationssaal in dem ehemaligen Speicher schien ihm einfach nicht sicher genug. Außerdem hatte er sowieso etwas in Helsinki zu erledigen, er musste auf dem Finanzamt einige Steuerangelegenheiten der Gemeinde Ukonjärvi klären.
Seppo Sorjonen erzählte voller Stolz, dass er bereits eine Bypassoperation in der Praxis geübt habe, Eemeli wäre nicht sein erster Herzpatient. Im vergangenen Herbst hatte er beim bösartigsten Bock der Schafherde eben diese anspruchsvolle Operation vorgenommen, zu Studienzwecken, und zwar zur Zeit der Herbstschlachtungen.
»Hat der Bock überlebt?«, fragte Eemeli.
»Ich habe irgendwie im Gefühl, dass ich es bei dir bestimmt schaffen würde.«
Trotz dieser Überredungsversuche rüstete sich Eemeli für die Fahrt nach Helsinki. Seine Frau Taina begleitete ihn. Sie wollte ihren alten herzkranken Mann nicht allein reisen lassen. Seppo Sorjonen bat Taina, ihm für seinen Operationssaal Betäubungsspritzen und Nylongarn mitzubringen. Sohn Jussi brachte seine Eltern zum Bahnhof Valtimo, wo sie in den Zug stiegen. Nach vierundzwanzig Stunden fuhr die schnaufende Dampflok in den Bahnhof Helsinki ein.
Wie hatte sich doch Finnlands Hauptstadt inzwischen verändert! Das Bahnhofsgebäude war schmutzig und heruntergekommen. Nur wenige Menschen waren zu sehen, hauptsächlich Betrunkene und anderer Abschaum. Das Dach über dem Westflügel der Halle war irgendwann eingestürzt, es wurde notdürftig durch Balken gestützt. Auf dem Steinfußboden standen Dreckpfützen. Im ganzen Gebäude war kein einziges Restaurant mehr in Betrieb. Vor der benachbarten Post saßen verkommene Gestalten um ein Lagerfeuer. Das Gebäude selbst hatte keine Fenster mehr. Auch der ehemalige Sokos-Komplex sah nicht besser aus.
Taina buchte eine Übernachtung am Erottaja, im Hotel Klaus Kurki, das ebenfalls sehr verwahrlost war. Die Zimmer wurden kaum sauber gemacht, die Restaurants waren geschlossen, aber immerhin funktionierte die Heizung. Den
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