Nördlich des Weltuntergangs
Mitteln.«
Eemeli ließ sich zum Pfarrhaus fahren. Er lief mit langen Schritten zum Eingang. Auf den Stufen erwarte ten ihn zwei Frauen, Henna und Taina. Henna hielt ein Baby im Arm, zu Tainas Füßen tummelte sich ein klei nes dralles Kerlchen.
Einigermaßen bewegt trat Eemeli Toropainen zu ih nen. Tainas Sohn hatte ein wenig Scheu vor seinem Vater, das Baby hingegen verzog nur sein Mündchen und gähnte breit. Eemeli ging mit seinen Frauen ins Haus. Der Gehilfe klatschte dem Wallach mit der Peit
sche auf den Hintern und fuhr die Orgelkisten zur Kir che.
Die Stube im Pfarrhaus war voller Menschen. Alle trugen lange Kutten, die am Saum und an den Ärmeln mit farbiger Borte eingefasst waren. Die Leute saßen um den Tisch und studierten eine Art geistliches Buch, das den Titel Rette sich wer kann – neueste Erklärungen zum geistlichen Leben trug. Eemeli zählte mindestens zwan zig Kuttenträger. Die Luft war stickig. In den anderen Räumen hockten ähnliche Typen, das ganze Haus war voll von ihnen. Mitten am helllichten Tag plapperten erwachsene Menschen pseudogeistliches Gewäsch. Zu arbeiten schien keiner von ihnen, mit ihrer Kleidung wäre das sowieso kaum möglich gewesen.
Henna und Taina hatten mit ihren Kindern aus den besten Zimmern des Hauses in ein kleines Hinterstüb chen auf der Waldseite ziehen müssen. Dort war auch ein Bett für den heimkehrenden Hausherrn aufgeschla gen.
Eemeli Toropainen betrachtete die kleine Kammer und seine Frauen, die ihm im Chor zu erzählen began nen, was sich am Ukonjärvi zugetragen hatte. Es ging in der Siedlung drunter und drüber. Alle mussten täglich in die Kirche gehen und in sonderbaren Veranstaltun gen beten, in denen Soile-Helinä Tussurainen von der Kanzel lange Reden hielt. Wenn man nicht gehorchte, hagelte es schreckliche Drohungen. Die Diplom-Benimmse hatte erzählt, sie habe Beziehungen zu einer amerikanischen Organisation, die bereits dafür gesorgt hatte, dass Eemeli Toropainen ins Gefängnis kam. Das selbe Schicksal erwartete jeden, der sich nicht ihrem Willen beugte.
»Und ihr seid so dumm und glaubt diesen Drohun gen?«, wunderte sich Eemeli.
»Sie hat uns ganz schreckliche Fotos von einer Klinik gezeigt, in der Leute aufgeschlitzt werden. Wir haben das blutige Fleisch gesehen, den Menschen wurden die Organe rausgenommen, man kann es gar nicht be schreiben. Wir haben beschlossen, auf dich zu warten, vielleicht kannst du die Frau wegjagen. Die Polizisten hat sie sofort rumgekriegt, ist mit ihnen in die Sauna gegangen und hat sie massiert. Wir konnten nichts gegen sie ausrichten. Wir haben uns nicht getraut.«
Die Frauen erzählten, dass Severi Horttanainen als Einziger versucht hatte, sich der neuen weiblichen Oberherrschaft zu widersetzen. Aber auch er hatte nicht endlos kämpfen mögen, er hatte es aufgegeben und war nach Kalmonmäki gezogen.
Die Frauen brachten Eemeli zu essen. Die Verpfle gung war sehr dürftig geworden: Es gab eine dünne Suppe und ein paar Stücke trockenes Brot, als Getränk nur Wasser, dazu einen Salat aus Keimen und Wurzeln. Lustlos verzehrte Eemeli seine Mahlzeit. Dann warf er sich den Wolfspelz um die Schultern und schickte nach dem Gehilfen, um mit ihm zum Hiidenvaara zu fahren.
Dort herrschte derselbe traurige Zustand. Die Grü nen, bekleidet mit langen Kutten, saßen in ihren Hütten und blätterten lustlos in geistlichen Büchern. Ihre Bärte waren lang geworden. Auf dem Tisch lag Brot, in den Krügen war Wasser. Empört setzte sich Eemeli Toropai nen in den Schlitten und wies den Gehilfen an, nach Kalmonmäki zu fahren.
Severi Horttanainen wohnte im Speicher von Assers früherem Haus. Er wirkte ziemlich abgezehrt. Die Wie dersehensfreude war dennoch groß.
»Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, sie behalten dich für immer da.«
Severi trug keine Kutte, sondern ganz normale Ar beitskleidung: Arbeitshose, Pullover und Gummistiefel, auf dem Kopf eine Pelzmütze. Ihn hatte die Diplom-Benimmse mit ihrer neuen Sekte nicht beeindruckt. Er war eben ein waschechter finnischer Mann.
»Komm mit, wir fahren zum Ukonjärvi«, sagte Eemeli entschlossen.
»Du willst die Kirche räumen, oder?« »Das will ich.«
In leichtem Trab ging es heimwärts. Noch am selben Tag machte sich Eemeli zusammen
mit Severi Horttanainen und dem Gehilfen daran, die Einödkirche am Ukonjärvi von dem Pack zu befreien, das sich darin eingenistet hatte, von geldgierigen Be nimmsen und ihren
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