Nördlich des Weltuntergangs
großen Kessel erhitzt, unter dem ein gleichmäßiges Feuer gehalten wurde. Es kam auf Ge nauigkeit an, die Flüssigkeit durfte nicht anbrennen, aber auch nicht zu stark abkühlen. Um die nötige Kon sistenz zu erhalten, brauchte man Übung und Erfah rung. Es wurden jeweils hundert Liter auf einmal ge kocht, damit konnte man dann zwei Tage lang pinseln. Insgesamt wurden sechshundert Liter Ocker für die Außenwände der Kirche verarbeitet. Die Fensterrahmen und die Dachrinnen wurden weiß gestrichen, die Fens terkreuze schwarz, ebenso die Eingangstür und die Fensterluken des Dachreiters.
Als der Gehilfe Taneli Heikura den Dachreiter an strich, konnte er sich nicht verkneifen, ein paarmal den Glockenstrang zu ziehen, obwohl es verboten war, außer der Reihe zu läuten. Als die anderen Arbeiter hinaufklet
terten, um ihn davon abzubringen, versuchte er durch die Luke des Dachreiters zu entkommen. Er balancierte über den First, kam bis ans Ende des Westkreuzes, wo es nicht weiterging. Nun versuchte er, sich an den glat ten Schindeln hinunterzulassen, um über die Dachrinne auf das Malergerüst zu gelangen, doch seine Hand glitt aus und er rutschte mit immer schnellerer Geschwin digkeit am Kirchendach hinab. Begleitet von einem ratternden Geräusch und mit ein paar herausgerissenen Schindeln in den Händen, sauste er nach unten. Die Dachrinne, an die er sich in seiner Not klammerte, bremste seinen Fall ein wenig. Ein Stück von mehreren Metern riss ab, der Bursche hielt es in den Armen, während er laut schreiend seinen Flug fortsetzte, bis er schließlich neben der Kirche auf dem Boden aufschlug. Die Arbeiter und die anwesenden Frauen rannten ent setzt herbei, um zu sehen, was ihm passiert war. Als Erste traf, vom Ockerkessel kommend, Henna Toropai nen bei ihm ein, sie barg den Kopf des leblos daliegen den Burschen in ihren Armen und sagte erschüttert:
»Taneli, stirb nicht, was soll aus unserem Baby wer den…«
Aus dem Mund des Gehilfen floss Blut. Man tastete seine Knochen ab und stellte fest, dass sie nicht gebro chen waren. Ein paar Rippen waren offenbar nach innen gedrückt. Nach einer Weile kam der junge Mann zu sich. Er sah sich verwundert um. In Hennas mütterlicher Umarmung fühlte er sich einigermaßen wohl.
Das Unfallopfer wurde umgehend ins Pfarrhaus ge tragen und ins Bett gelegt. Man umwickelte seinen Oberkörper fest mit einem feuchten Laken und gab ihm Wasser und einen Schluck Schnaps zu trinken. Henna blieb bei ihm, um ihn zu betreuen.
Nach diesem bedrohlichen Vorfall wussten alle, wer in Wirklichkeit der Vater von Hennas Baby war. Es gab keine größeren Diskussionen darüber. Eemeli Toropai nen verkündete kurz und knapp, dass der Gehilfe, sowie es ihm besser gehe und er wieder zu Kräften komme, mit Henna und dem Baby zum Hiidenvaara ziehen solle. Dort könne er für seine Familie ein eigenes Haus bauen. Horttanainen und die anderen Männer würden ihm behilflich sein.
»Die Stiftung finanziert das Baumaterial«, versprach Eemeli. Wie dem auch sei, die Kirche wurde angestri chen, ebenso das Pfarrhaus, Letzteres in Gelb. Diese Farbe zeugt in Finnland traditionell von einer gewissen Vornehmheit, und so wirkte das Pfarrhaus, als es seinen Anstrich bekommen hatte, denn auch fast wie ein Her renhaus.
Die Blockhaussiedlung am Hiidenvaara wurde erwei tert, und die meisten Hütten bekamen eine Bretterver schalung und wurden rot gestrichen. Inmitten der üppi gen sommerlichen Natur bot der Berghang mit dem roten Minidorf, das sich im See spiegelte, einen außer ordentlich hübschen Anblick.
Nun gab es rote Hütten, was noch fehlte, waren Kar toffeläcker. Die Grünen hatten sich darauf beschränkt, Kräuter und, in geringen Mengen, Hackfrüchte anzu bauen. Ihnen leuchtete partout nicht ein, dass der Mensch nicht ohne Kartoffeln auskam. Außerdem hatte man bisher bei Bedarf Kartoffeln im Laden kaufen kön nen. Jetzt allerdings hatte die Konsumgenossenschaft ihren Laden in Kalmonmäki geschlossen. Der nächste befand sich in Sotkamo. Von dorther Kartoffeln zu holen war schwierig, denn es gab keine Verkehrsmittel; mit dem Pferdewagen war es zu umständlich, und der Trak tor war nicht mehr in Ordnung.
Eemeli Toropainen wies die Grünen an, ein Stück Land umzugraben und Frühkartoffeln zu pflanzen. Da es bereits Hochsommer war, bestand Hoffnung, dass die Kartoffeln bis zum Herbst groß genug zur Ernte sein würden. Außerdem ließ Eemeli
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