Nördlich des Weltuntergangs
erklärte der Oberst. Er sah in dem Leichen handel eine winzig kleine Flamme, einen irrlichternen Hoffnungsfunken, vielleicht das lang ersehnte Zeichen für das Wiederaufleben des Handels zwischen Russland und Finnland. Dieser lag seit zehn Jahren lahm, doch jetzt schimmerte am Horizont ein Streifen Hoffnung auf.
Der Oberst deutete an, dass vielleicht ein Viertelfass gesalzener kleiner Maränen oder eine Elchkeule der angemessene Preis pro Leiche wäre.
Die Toten wurden mit dem Pferdewagen von der Gren ze abgeholt. Sie waren im Inneren einer Felshöhle sau ber aufgestapelt und sorgfältig mit Fichtenzweigen abge deckt, damit die Füchse der guten Ware nichts anhaben konnten. Die Russen hatten die Toten mit Lappenschlit ten über die Grenze gezogen. Wie der Oberst sagte, war es ein riskantes Unternehmen gewesen. Die finnische Grenzwache war in diesen Tagen nur allzu leicht bereit, auf jeden zu schießen, der sich ohne Pass in der Grenz zone bewegte. Wenn er und seine Kameraden auch mit Toten unterwegs gewesen waren, wollten sie deswegen nicht selbst oben auf dem Stapel landen. Trotz der Gefahr, der sie bei der Arbeit ausgesetzt gewesen waren, konnte sich die Ausbeute sehen lassen, erklärte der Oberst stolz.
Später, beim Waschen und Einsargen der Körper, kamen den Finnen leise Zweifel, ob sie wirklich alle auf natürliche Weise gestorben waren. Auf entsprechende Fragen reagierten die beiden ehemaligen KGB-Agenten ein wenig verlegen und erklärten, dass in diesen Zeiten in Russland kaum jemand eines natürlichen Todes starb. Wenn nicht die Verhältnisse das Leben verkürz ten, fand sich immer jemand, der ein wenig nachhalf.
Jedenfalls wurde in einer Ecke des Friedhofes eine kleine russische Abteilung gegründet, in der die un glücklichen Bürger des Nachbarlandes beigesetzt wur den. Die Zeremonie war schlicht und würdevoll. An schließend machte man dem Oberst und seinen Lands leuten jedoch klar, dass die Stiftung keine ausländi schen Leichen aufkaufen, zumindest keinen Import von Leichen betreiben werde. Das schicke sich nicht. Im Statut der Stiftung sei dergleichen nicht vorgesehen. Außerdem dürfe laut finnischem Gesetz niemand ohne offiziellen Totenschein bestattet werden, und die russi schen Leichen seien allesamt ohne ein einziges offizielles Dokument ins Land gebracht worden.
Die Russen waren schwer enttäuscht. Besonders ver ärgert waren die ehemaligen Agenten des Geheimdiens tes. Sie sagten, sie seien der Meinung gewesen, die Leute am Ukonjärvi seien ernsthaft daran interessiert, ihren Friedhof zu füllen und den schlechter gestellten Toten des Nachbarlandes zu helfen. Sie erklärten, sie wollten nun nach Schweden gehen, da man ihnen hier am Ukonjärvi keine geeignete Aufgabe bieten könne, jeden falls keine, für die sie langjährige und solide Erfahrun gen mitbrachten. Daraufhin übergab man ihnen Ruck säcke mit Proviant und schickte sie in die Loipe, wo sie sich in westliche Richtung wandten.
Zurück blieben drei Russen: Oberst Arkadi Lebedew und seine beiden Kameraden aus Archangelsk. Für Letztere fand sich ohne weiteres eine passende Arbeit, nur einen Oberst der russischen Bodentruppen richtig einzusetzen war schwer. Lebedew wollte sich in der Partisanenkompanie verdingen, doch Feldwebel Sulo Naukkarinen lehnte das Angebot ab und erklärte, dass er in seiner Truppe keine ausländischen Offiziere auf nehmen wolle. Außerdem wäre es unnatürlich, wenn ein Feldwebel einen Oberst befehligte.
Im Frühjahr fand sich endlich auch für Arkadi Lebe dew eine nützliche, ihn selbst befriedigende Beschäfti gung. Er wurde Hirte der Bullenherde, die mehrere Dutzend Tiere umfasste.
Sowie die Bullen ihren Stall am Hiidenvaara verließen und nach draußen auf die Weide getrieben wurden, trat der Oberst seinen Dienst an. Er funktionierte seine ehemalige Uniform zum Hirtenanzug um. Anstelle der Hirtenflöte wünschte er sich ein Saxofon, denn dieses Instrument hatte er einst bei seinen Reisen durch Finn-land leidlich zu spielen gelernt. Und tatsächlich fand sich im Konkurswarenlager von Kajaani ein entspre chendes Exemplar in akzeptablem Zustand, das gegen eine geräucherte Elchkeule eingetauscht wurde.
Von nun an polierte der Oberst jeden Morgen vor Ar beitsantritt sorgfältig seine Offiziersstiefel und sein Saxofon. Dann saß er auf der Wiese hinter dem Hiiden järvi in der warmen Morgensonne auf einem Baum stumpf und spielte auf seinem Instrument;
Weitere Kostenlose Bücher