Nördlich des Weltuntergangs
und begleitete sie ihren Mann, wenn er in den einzelnen Dörfern unterwegs war, um die Leute anzuleiten. Herzkrank, wie er war, sollte er weite Fahrten besser nicht allein machen, fand sie.
Ihr gemeinsamer Sohn Jussi war bereits siebzehn Jahre alt und wartete auf seine Einberufung in die Partisanenkompanie von Ukonjärvi. In der finnischen Armee wollte er seine Wehrpflicht nicht ableisten, dann würde er im Kriegsfalle womöglich an eine weit entfernte Front geschickt, schließlich gehörte Finnland zu den gemeinsamen europäischen Streitkräften. Die Union akzeptierte den Dienst in Heimatschutztruppen als Ersatz für die Wehrpflicht, eine Regelung, die die Schweiz seinerzeit durchgesetzt hatte. Die Partisanen kompanie von Ukonjärvi wurde als eine solche lokale Schutztruppe anerkannt.
Eemeli Toropainen schob das Rechnungsbuch beiseite und nahm das Inventarverzeichnis aus dem Regal. Das Heft war ein wenig schmuddelig, man sah, dass darin oft geblättert wurde.
Die Eintragungen waren unterteilt nach den einzelnen Einrichtungen der Stiftung: Mühle, Schmiede, Spanho bel, Sägewerk, Nebendörfer.
»Willst du kranker Kerl etwa wieder losfahren und je den einzelnen Gegenstand zählen?«, fragte Frau Taina ein wenig besorgt.
»Im Frühjahr ist der rechte Zeitpunkt, sich mal wieder einen Überblick zu verschaffen. Die Verwaltung darf nicht vernachlässigt werden.«
»Ich komme mit. Im Herbst hast du auch eine Woche krank im Bett gelegen, nachdem du überall rumgefah ren bist und dich dabei überanstrengt hast. Wir könnten diesmal einen Traber nehmen, zum Beispiel Jussis Fohlen.«
Taina machte belegte Brote zurecht, die sie in einen Korb aus Birkenrinde packte. Sie fügte auch noch ge räuchertes Schweinefleisch und eine Kanne Bier, ebenso einen kleinen Krug Schnaps als Medizin hinzu.
Die Stiftung besaß kein Auto, nicht mal ein Moped, dafür standen mehrere schnelle Traber im Stall. Severi Horttanainen hatte elegante Kirchenschlitten und, für den Sommer, ein paar Karriolen, leichte zweirädrige Wagen, gezimmert. Für Eemeli hatte er eine vierrädrige leichte Kutsche gebaut. Dabei hatte er die im achtzehn ten Jahrhundert verwendeten vornehmen französischen Chaise-de-poste-Wagen, also Postkarriolen, zum Vorbild genommen. Vorn befanden sich zwei kleine schwenkba re Räder, die hinteren Räder waren doppelt so groß. Die weichen Sitze waren mit Otterfell überzogen. Der Wagen hatte ein Verdeck aus Leder, war aber nach vorn offen, sodass einer der Passagiere kutschieren konnte. Im Falle der Toropainens hielt Taina die Zügel. Sie spannte auch das Pferd an und hob den Korb mit dem Proviant in den Wagen.
Taina lenkte das Fahrzeug nach Sepänkylä, ein Ne bendorf von Ukonjärvi, das erst etwa zehn Jahre zuvor besiedelt worden war. Dort befand sich die Schmiede der Stiftung, und der Schmied, der darin schwitzte, war ein pechschwarzer Somali wie auch seine Gehilfen.
Es fuhr sich gut an diesem Frühjahrsmorgen. Die Vö gel sangen, der schmale Weg schlängelte sich durch eine Heide nach Nordosten. An der höchsten Stelle des Ge ländes machten die Eheleute eine Pause, sie tranken kühles Bier und saßen eine Weile am Ufer eines Gra bens. Von dort hatten sie einen schönen Blick auf den Ukonjärvi-See in einer Entfernung von etwa einem Kilo meter. In dem glatten blauen Wasser spiegelten sich Schönwetterwolken. Am einem Ende des Sees erhob sich die hübsche Kirche, diesseits des Flusses, an der Brü cke, standen mehrere rote Häuschen, dann folgten das Pfarrhaus, die Sauna und, an der höchsten Stelle, das neue große Herrenhaus mit dem gelben Anstrich. Auf dem See waren ein paar Boote unterwegs, Netze wurden gezogen. Am gegenüberliegenden Ufer stand etwa ein Dutzend roter Häuschen, ebenfalls ziemlich neu, dazu Kuh- und Pferdeställe. Vor ihnen lag das ganze Kirch dorf Ukonjärvi wie auf dem Präsentierteller, durchzogen vom blauen Wasser des Sees.
»Wer weiß, ob sie bei diesem schönen Wetter etwas fangen«, meinte Eemeli sinnend, während er die Boote beobachtete.
»Bisher haben sie noch immer etwas herausgeholt«, erwiderte Taina und trank einen Schluck Bier aus der Kanne. »Wenn nichts anderes, dann wenigstens ein paar Maränen.«
Die beiden fuhren weiter. Bald gelangten sie ans Ufer des Iso Haukilampi, des Großen Hechtsees. Der war zwar nicht wirklich groß, höchstens dreihundert Meter lang, lag aber ganz in der Nähe eines kleinen namenlo sen Sees, daher wohl der Name.
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