Nördlich des Weltuntergangs
worden, es enthielt zwei Zellen, dazu eine Wohnung für den Wärter, und es stand an der Nordseite des Sees in einem dunk-len Fichtenwald. Melancholische Saxofonklänge waren aus der Richtung des Gefängnisses zu vernehmen, als die Toropainens auf den schmalen Weg, der zu dem Gebäude führte, einbogen.
Das Gefängnis wurde derzeit von Oberst Arkadi Lebe dew geleitet, auch er inzwischen ein Mann von über sechzig. Lebedew hatte sein Amt als Hirte schon vor Jahren aufgeben müssen, als mit zunehmendem Alter sein Orientierungssinn nachließ. In seinem letzten Hirtensommer hatte er die Bullenherde zweimal in der Einöde verloren. Eines der Tiere war in einem Sumpf ertrunken, und der Oberst selbst war halb verhungert in der Nähe der russischen Grenze gefunden worden. Das Saxofon war voller Schlamm gewesen.
Der Gefängnisdirektor, der eine altmodische Uniform trug, legte das Saxofon auf die Stufen und eilte dem Stiftungsdirektor und seiner Frau entgegen.
»Welche Überraschung, liebe Freunde! Tretet ein, ich koche Tee!«
Der Oberst führte das Ehepaar in seine Wohnung. Sie bestand aus zwei Räumen, einer Wohnküche und einer Schlafkammer. Alles war sauber, auf dem Tisch lagen Spitzendecken, und auf dem Herd stand ein Samowar. Der Oberst stellte den Samowar auf den Esstisch, dann trug er allerlei Herzhaftes auf: Gurken, Sauerkohl, Käse, Brot. Man setzte sich zur Mahlzeit.
Die angenehme Teestunde wurde von Zeit zu Zeit da durch gestört, dass es hinter der Balkenwand laut dröhnte, das kleine Haus schien jedes Mal zu schwan ken. Der Oberst erzählte, dass sich hinter der Wohnkü che die Zelle für die männlichen Gefangenen befand. Derzeit saß dort ein wüster hünenhafter Mörder ein, der die Eigenheit hatte, gegen die Wand zu treten und daran zu rütteln. Das hatte er sich im Laufe seiner vielen Haftaufenthalte in den verschiedenen Gefängnissen des Landes angewöhnt.
Eemeli Toropainen wunderte sich ein wenig. Er konn te sich nicht erinnern, dass bei den Gerichtssitzungen von Ukonjärvi – die seit der Jahrtausendwende regelmä ßig stattfanden – ein solcher Fall behandelt worden war. Wie war es möglich, dass in seinem Gefängnis ein Mör der saß, von dem er nichts wusste?
Der Oberst erklärte, die Sache sei ihm nicht so wich tig erschienen, dass sie im Herrenhaus hätte gemeldet werden müssen. Es verhielt sich nämlich so, dass der besagte Mörder kein Hiesiger war. Naukkarinens Parti
sanen hatten ihn auf der Straße zum Hiidenvaara fest genommen. Der Mann hatte gestanden, dass er aus dem Turkuer Zentralgefängnis Kakola ausgebrochen war. Er hatte die Absicht gehabt, sich unbemerkt über Hiiden vaara nach Sotkamo und von da in den Norden des Landes durchzuschlagen.
Nachdem der Mann zum Verhör ins Gefängnis ge bracht worden war, hatte sich dann herausgestellt, dass er im Jahre 2008 einen Mord begangen und von der Strafe, zu der er verurteilt worden war, erst zwei Jahre abgesessen hatte. Da die Tat nicht auf dem Gebiet der Stiftung verübt worden war, bestand aus juristischer Sicht kein Anlass, das dafür verhängte Urteil im Ge fängnis von Rajakylä zu vollstrecken, und außerdem verursachte ein so hünenhafter Häftling einer kleinen Gemeinde nur Kosten.
»Er ist ein großer Kerl und braucht eine Menge Es sen«, erklärte der Oberst. Nur konnte seiner Meinung nach ein Mann, der ein Menschenleben auf dem Gewis sen hatte, nicht so ohne weiteres wieder auf freien Fuß gesetzt werden. So hatte er in seiner Eigenschaft als Gefängnisdirektor den Mann zu einem Monat Haft ver urteilt, den dieser jetzt abbüßte. Er donnerte schon seit drei Wochen gegen die Wand seiner Zelle. In der folgen den Woche würde der Oberst ihn mit Stricken auf einem Pferdewagen festbinden und nach Sotkamo schaffen, wo er ihm einen derben Tritt in den Hintern geben und ihn auffordern würde, künftig um die Gemeinde Ukonjärvi einen großen Bogen zu machen.
Eemeli Toropainen billigte ohne Einwände die admi nistrative Entscheidung des Oberst.
Der Tee war getrunken und die Neuigkeiten waren ausgetauscht. Der Oberst brachte die Gäste nun zu dem Mörder, der tatsächlich überaus groß und starkknochig und vielleicht vierzig Jahre alt war. Als die Zellentür
geöffnet wurde, versuchte er auszubrechen, wich aber zurück, nachdem er die Faust des Oberst zu spüren bekommen hatte.
Eemeli Toropainen fragte ihn, ob er im Gefängnis von Rajakylä anständig behandelt werde. Ob das Essen zufrieden
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