Nördlich des Weltuntergangs
sie zu kaufen, und Ersatzteile interessierten die Verkäufer nicht mehr, weil noch im vergangenen Jahrtausend das Öl rationiert worden war. So verschlimmerte sich die Situation nach und nach.
Der Somali Josif Nabulah erklärte, dass in einer Gie ßerei Halbfabrikate hergestellt werden könnten. Er sei bereit, die Anlage zu bauen, wenn mit der Stiftung eine entsprechende Einigung zustande komme. Er habe Leute, die in der Gießerei arbeiten könnten, und er könne auch einige Weiße für diesen Beruf ausbilden.
Sie einigten sich auf einen anständigen Preis: Für die Gießerei sollte der Somali hundert Kilo Wildschwein fleisch und zwei Zentner Weizen bekommen.
Eemeli Toropainen regte außerdem den Bau einer Dampfmaschine an. Es gab im Fluss Ukonjoki einen Damm und eine Turbine, deren Kraft jedoch nur für die Stromerzeugung unmittelbar im Kirchdorf reichte, da sie außerdem noch die Mühle antrieb. Eine Dampfmaschine war also unabdingbar; im Sommer könnte sie die Dreschmaschine und die anderen Landmaschinen an treiben, im dunklen Winter für die Nebendörfer Strom erzeugen.
Der Schmied schätzte, dass er innerhalb eines Jahres ein Probeexemplar konstruieren könne. Danach könnten problemlos weitere hergestellt und das Modell weiter entwickelt werden.
Die Männer bestätigten die Absprache mit Hand schlag, und Taina Toropainen holte den Schnapskrug aus ihrem Korb. Alle tranken einen Schluck, auch Taina und die Gesellen. Dann begannen die Burschen, mit der Schmiedezange auf einen Fassdeckel zu schlagen, und der Jüngste von ihnen führte dazu einen Tanz auf.
In dem Moment kam aus Richtung Valtimo ein acht zehnjähriges, offenbar geistesgestörtes Mädchen ange rannt. Sie war völlig außer Atem und rief im Näher kommen:
»New York ist im Müll versunken!«
Bedauernswerte Geschöpfe wie sie trieben sich jetzt überall im Land herum, seit die Nervenkliniken aus Mangel an Personal geschlossen worden waren. Dieses Mädchen stammte dem Vernehmen nach ursprünglich aus Loimaa, war aber, vom Hunger getrieben, in Kainuu gelandet. Sie war mit einem Proviantbündel über der Schulter durch die Straßen gelaufen, bis man ihr in einer Bierbar in Valtimo den Tipp gegeben hatte, nach Ukonjärvi zu gehen, wo die Leute, wie allgemein bekannt war, mehr zu essen hatten, als sie selbst brauchten. Das Mädchen hatte die Angewohnheit, vornübergebeugt zu laufen, da sie früher einmal geritten war. Sie wieherte auch gern.
Jetzt kam das Mädchen, das der »Fliegende Engel« ge nannt wurde, aus Valtimo und erklärte, dass sie am nächsten Tag wieder dorthin zurücklaufen wolle. Manchmal lief sie bis zu hundert Kilometer an einem Tag, sie liebte die Bewegung, und man ließ ihr das Ver gnügen. Im Sommer lief sie barfuss, im Winter trabte sie in Lappenstiefeln über die Straßen.
Hin und wieder gaben ihr die Leute Briefe mit, oder sie versuchten ihr Besorgungen aufzutragen. Nur selten gingen die Briefe verloren, und im Allgemeinen wurden die Aufträge erledigt. Schwere Lasten mochte der »Flie gende Engel« beim Laufen allerdings nicht tragen. Ein mal hatte ihr jemand ein Drittelfass Butter auf den Rücken geschnallt. Das war ihr schon auf halber Stre cke zu viel geworden, sie hatte zwei Kilo davon gegessen und mit dem Rest die Kiefernstämme am Straßenrand eingeschmiert.
Der »Fliegende Engel« bekam belegte Brote und Bier, jedoch keinen Schnaps. Auch die Schmiedegesellen bekamen vorsichtshalber keinen mehr. Taina Toropai nen sagte:
»Armes Mädchen. Ich würde sie zu uns ins Haus nehmen, aber sie hält es ja nirgendwo auch nur einen Tag aus, sowie man sie aus den Augen lässt, ist sie weg.«
»So sind die Frauen eben«, bestätigte der Somali, des-sen weiße Frau im vergangenen Herbst nach Grünberg gezogen war.
Taina und Eemeli brachen auf. Die Schmiedegesellen trommelten vor der Werkstatt weiter auf dem Fass herum und tanzten. Der »Fliegende Engel« flatterte bei ihnen herum, bis ihr einfiel, dass sie weitermusste. Sie rannte auf die Straße und verschwand in Richtung Uuranvaara, ihre lange blonde Flachsmähne wehte im Wind.
27
Am Nachmittag kamen Taina und Eemeli im Dorf Raja kylä an, das sich genau wie Sepänkylä auf dem Gebiet des ehemaligen Gemeinwaldes von Valtimo befand. Um den See Rajalampi herum waren etwa zwanzig Häuser entstanden, dazu ein Kuhstall, eine Hühnerfarm und ein Gefängnis.
Das Gefängnisgebäude war bald nach der Jahrtau sendwende aus stabilen Balken errichtet
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