Nördlich des Weltuntergangs
Orientierungssinn. Die Schar war ständig gewach sen, besonders, nachdem der dritte Weltkrieg ausgebro chen war. In den besten Zeiten waren es fast sechzig tausend Frauen gewesen, die unterwegs waren, und wenn man die Kinder mitzählte, insgesamt sogar hun derttausend Personen. Nur ein paar alten Männern war gestattet worden, sich anzuschließen.
Die Kosaken durften nicht im Lager der Frauen woh nen, obwohl es ihnen durchaus gefallen hätte, sondern sie mussten vor dem Zug herreiten, den Weg auskund schaften und Beziehungen zu den Völkern anknüpfen, deren Gebiet die Karawane überquerte, außerdem muss-ten sie sich als Dolmetscher betätigen.
Der Ataman sagte, dass er Ende des vergangenen Jahrtausends auf dem Sprachgymnasium von Irkutsk Englisch gelernt habe. Jetzt sei er sechzig Jahre alt.
Eemeli Toropainen wollte wissen, warum ausgerech net ein Kosakenführer vom Rang eines Atamans als Anführer einer kleinen Reiterstaffel in fremden Ländern unterwegs war.
»Mir blieb nichts anderes übrig. Kurz nach dem Ein treffen der Frauen marschierten nämlich eine Million Uiguren im Donbecken ein, sie kamen nicht zu Fuß, sondern mit Panzern.«
Eemeli fragte, warum sich die Frauen nun gerade Finnland als Ziel gewählt hatten. War das Klima nicht zu kalt für Menschen aus dem Süden?
Der Ataman erzählte, dass die Frauen unterwegs in Nowgorod überwintert hatten. Das hatte sie abgehärtet. Sie beabsichtigten, so lange zu wandern, bis sie einen ruhigen Winkel auf dieser Welt fänden, in dem sie sich mit ihren Kindern niederlassen könnten. Da ein Welt krieg wütete, mussten sie Mitteleuropa meiden, sodass es ihnen vernünftig erschienen war, nach Norden zu ziehen.
Der Ataman lud Eemeli im Namen der Anführerin der wandernden Frauen zu einem Gespräch ein; sie wollte mit ihm über die Möglichkeit verhandeln, sich in Ukon järvi oder der näheren Umgebung niederzulassen. Der Ataman empfahl Eemeli, nicht allein zu kommen, da er ein Mann sei, sondern wenigstens ein paar seiner Ehe frauen mitzunehmen. Er hatte doch sicher welche? Das Gespräch würde in einer freundlicheren Atmosphäre verlaufen, wenn auch Frauen dabei wären.
Eemeli borgte sich von Taneli Heikura seine frühere Frau Henna aus und ließ sich dann mit ihr und Taina zu den fremden Frauen führen.
Sie ritten zum Kuohattijärvi-See, bis dorthin waren es elf Kilometer. Der See war zehn Kilometer lang, er lag nordnordöstlich von Nurmes, auf halbem Wege zum Feldposten am Murtovaara. Die Partisanen befanden sich gerade auf Streife und stellten die Gruppe unter ihren Schutz. Gemeinsam mit den Donkosaken führten sie Eemeli und seine beiden Frauen ans Ziel. Am West zipfel des Sees trafen sie auf die Wächterinnen, die mit Flinten und Speeren bewaffnet waren. Die kriegerisch wirkenden Frauen verlangten einen Passierschein. Die Kosaken erklärten ihnen, dass dies nun der hiesige finnische König sei. Eemeli durfte weiterreiten. Die Partisanen und die Kosaken wurden nicht durchgelas sen, sie mussten warten.
Eemeli Toropainen ritt mit seinen beiden Frauen am Nordufer des Sees entlang. Das Lager der wandernden Frauen erstreckte sich über eine Länge von zehn Kilo metern. Überall standen Zelte, und davor brannten Lagerfeuer, an denen die Frauen das Essen zubereite ten. Die meisten von ihnen trugen lange, bis auf den Boden reichende Kutten und an den Füßen Sandalen, einige waren barfuss. Es waren Frauen jeden Alters, junge und alte, und kleine Kinder tummelten sich zu ihren Füßen.
Der Tross stand auf einer Landzunge am Nordufer, es waren Hunderte von Wagen und die dazugehörigen Zugtiere, hauptsächlich Esel, aber auch Ochsen, Pferde und ein paar Kamele. Hunde bellten in der Nähe des Trosses, und zwischen den Zelten huschten hier und da Katzen herum. Außerdem gab es Unmengen von Hühnern und Schafen. Alles in allem gewann Eemeli den Eindruck, dass die Frauen bestens ausgerüstet waren, wie eine gut geführte Armee mit gesicherter Proviant- und Versorgungslage.
Obwohl das Lager riesengroß war, immerhin lebten dort mehr als vierzigtausend Frauen und Kinder, dazu Tausende von Tieren, war es gut organisiert und sehr sauber. Die Frauen wuschen im See Wäsche und häng ten sie zum Trocknen auf die Leine, viele badeten ihre Kinder oder schwammen selbst im Wasser. Von den Zelten klang fröhliches Geplapper herüber, und aus verschiedenen Richtungen war schöner Gesang von Frauenchören zu hören. Die Worte klangen fremd in Eemelis
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