Nördlich des Weltuntergangs
Feldpröbstin Tuirevi Hillikainen dankte Gott mit warmen Worten für den Fang.
Nach getaner Arbeit versammelten sich Menschen und Tiere auf einer kleinen Insel mitten im See, wo die Gehilfen ein Lagerfeuer entzündet und mehrere Unter stände als Windschutz errichtet hatten. Über dem Feuer wurde Fischsuppe gekocht, wobei man nicht mit Butter sparte.
Am Abend ging der Mond über dem Laakajärvi auf. Von der Russenhalbinsel klang das Geheul eines Wolfes herüber. Die Hunde wurden unruhig und knurrten. Die Ochsen blieben gleichgültig. Sie wurden nach der Mahl zeit vor die Schlitten gespannt, und dann fuhr die ganze Mannschaft ans Ufer. Eemeli Toropainen stieg zusam men mit der Feldpröbstin in seinen Kirchenschlitten und trieb den Hengst an, es ging heimwärts in Richtung Ukonjärvi. Die Schlittenglöckchen klingelten, der Mond schien, die Stimmung war prächtig. Tuirevi Hillikainen zupfte Eemeli am Ärmel und zeigte an den vom Mond beschienenen Himmel. Eine einsame Rakete zog dort einen hellroten Streifen über das Himmelszelt, an dem zahllose Sterne funkelten.
33
Am 13. Juni im Jahre 2015 ging die Sonne in gewohn ter, in Jahrmillionen erprobter Weise auf. In den Mor genstunden war die Luft klar, doch gegen elf Uhr begann es seltsam zu dämmern. Eine schwarze, schleierähnli che Wolke zog von Osten über den Ukonjärvi-See, sie wurde rasch dunkler, sah immer bedrohlicher aus und bedeckte bald den ganzen Himmel. Es war völlig wind-still. Die Vögel hörten auf zu singen, die draußen wei denden Schafe suchten Schutz unter den Bäumen, und die Bullen stellten sich im Kreis auf.
Es war ein seltsames Unwetter. Die Menschen gingen in ihre Häuser, aber draußen fiel kein einziger Wasser tropfen. Stattdessen begann schwarzer Staub vom Himmel zu schweben, ein sonderbarer feinpulveriger Ruß. Gegen Mittag verdunkelte sich die seltsame Wolke immer mehr. Um dreizehn Uhr herrschte völlige Fins ternis. Die Radiosender waren nicht mehr zu empfan gen.
Die Luft war erstickend feucht. Eemeli Toropainen schickte eine Nachricht in jedes Dorf seiner Gemeinde und forderte die Bewohner auf, in Kellern und Erdhöh len Schutz zu suchen. Sie sollten das Gesicht mit einem feuchten Tuch bedecken und genügend Trinkwasser mitnehmen.
Im Schein einer Taschenlampe kletterte der tapfere Sulo Naukkarinen auf den Kirchturm und läutete die Glocke. Sie klang gedämpft, als wäre der bronzene Klöp pel mit Mull umwickelt.
Feldpröbstin Tuirevi Hillikainen begab sich vom Pfarrhaus in die Kirche. Sie zündete Kerzen an, trat in dem gespenstischen Licht vor den Altar und kniete nieder. Dort betete sie lange und erbat vom Allmächti gen Schutz und Gnade für die Menschheit und für Ukonjärvi.
Die undurchsichtige schwarze Finsternis hielt den ganzen Tag, die folgende Nacht und auch noch den nächsten Vormittag an. Erst am Nachmittag des zweiten Tages kam Wind auf. Schwarze Asche wirbelte wie im Schneesturm über das dunkle Land. Die Wolkenmasse bekam Risse, es wurde heller. Dann ging ein heftiger Sturzregen nieder; Blitze zuckten, der Donner grollte, als wäre der Himmel aus Stein und würde jetzt gesprengt. Die Bäume bogen sich, an den Fenstern floss in Rinnsa len rußiges Wasser hinunter. Die Pfützen, Bäche und Flüsse wurden schwarz wie Kienruß, die Wellen des Ukonjärvi, die an die Uferfelsen schlugen, hatten dun kelgraue Schaumköpfe. Das Unwetter wütete den gan-zen Abend und die Nacht über der Einöde. Die Flüsse schwollen an, Bäume knickten um, Schindeldächer wurden abgerissen.
Endlich, am Morgen des 16. Juni, verzogen sich die letzten Wolkenfetzen vom Himmel, der Sturm ließ nach, und die Sonne kam hervor. Die kleinen Vögel putzten den Ruß aus ihrem Gefieder und begannen aus voller Kehle zu singen. Die Kernfinsternis des dritten Weltkrie ges war vorbei.
Eemeli Toropainen befahl der Partisanenkompanie, Strahlungsmessungen durchzuführen. Zu Pferde eilten die Soldaten an einzelne Punkte der Gemeinde und nahmen Proben aus dem Boden und aus dem Wasser, das immer noch schwarz war. Die Strahlungswerte waren erheblich gestiegen, aber sie waren wesentlich niedriger als in den Anfangsstunden der langen Finster nis. Eemeli ordnete an, dass die Leute eine Woche lang in ihren Häusern bleiben und sich nicht waschen soll ten. Die Partisanen ritten durch die Dörfer und kontrol lierten, ob die Anordnung eingehalten wurde.
Bald erfuhr man auch den Grund für das Ereignis. Als die Rundfunkprogramme
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