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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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traf die Kunde ein, dass Hortta­ nainen immerhin am Leben war. Eines Abends kam der »Fliegende Engel« aus Valtimo angehetzt und berichtete, dass ein Mann, der behauptete, Horttanainen zu heißen, in Nurmes gesehen worden sei und sich nun auf den Weg nach Norden gemacht habe.
    Eemeli Toropainen befahl, einen Traber anzuspannen und Horttanainen vom Bahnhof Valtimo abzuholen, und ein paar Tage später kam der Wagen auch tatsächlich mit dem Mann zurück.
    Der arme Alte war in elender Verfassung. Er war bis auf die Knochen abgemagert, seine Kleidung bestand nur noch aus schäbigen Fetzen, er hinkte und stützte sich auf einen Stock. Horttanainen sah wie ein Hundert­ jähriger aus, obwohl er erst achtzig war.
    Er wankte in Eemelis Herrenhaus. Seppo Sorjonen untersuchte ihn. Der Alte war stark unterernährt, au­ ßerdem litt er an einer schweren Depression. Sorjonen ordnete an, ihm als Erstes eine leichte Fischsuppe und Buttermilch zu verabreichen. Man führte den Alten in die Sauna und steckte ihn anschließend in saubere Sachen. Damit er sich erst mal ein paar Tage ausruhen konnte, machte man ihm ein Lager in dem stillen und geräumigen Speicher des Herrenhauses zurecht, und die Frauen brachten ihm zu essen und zu trinken. Jeden zweiten Tag besuchte ihn eine Masseurin vom Grünberg, die die steifen Glieder des alten Spions zu lockern ver­ suchte.
    Allmählich bekam Severi Horttanainen neuen Le­ bensmut. Seine körperliche Verfassung besserte sich dank des guten Essens und der guten Behandlung, sodass er bereits nach einer Woche den Speicher verlas­
    sen und ausführlich von seiner zweijährigen Spionage­ reise berichten konnte.
    Es war eine lange Geschichte. Zuerst war Severi mit dem Bummelzug nach Hämeenlinna gereist, wo er er­ fahren hatte, dass nach Helsinki keine Zivilpersonen hineingelassen wurden; die Stadt war wegen des Krieges gesperrt, und der größte Teil der Bevölkerung war aufs Land evakuiert worden. In Hämeenlinna hingegen lebten die Leute in relativer Sicherheit. Der gute Severi blieb zunächst dort, um sich ein paar flotte Tage zu machen, da er einmal Zeit hatte und auch nette Gesellschaft fand.
    Von Hämeenlinna nahm ihn schließlich ein Lastwa­ gen nach Kotka mit, wo es ihm gelang, einen Platz auf einem Schleppkahn zu ergattern, der über den Finni­ schen Meerbusen nach Estland fuhr. Er beobachtete das Weltkriegsgeschehen einige Wochen von Tartu aus und wartete auf eine Gelegenheit, nach St. Petersburg zu reisen. Zu seinem Unglück erkrankte er an Tripper und musste zwischendurch nach Finnland zurück, um sich behandeln zu lassen. Gegen Ende des Herbstes überquerte Severi die Staatsgrenze heimlich mit dem Boot und schlug sich zur Bahnstrecke durch, die nach Norden, nach Vyborg, führte. Doch es gab keinen Zug­ verkehr, die Schienen waren mit Gras überwuchert. In den Wäldern hielten sich Räuber versteckt. So war größte Vorsicht geboten, als Severi längs der Bahnstre­ cke nach Vyborg trabte. Die Stadt war teilweise abge­ brannt und völlig verwaist. Severi musste an den Schie­ nen zu Fuß bis nach St. Petersburg weitergehen.
    Anfang November kam er in St. Petersburg an. Die Vororte waren verlassen, und je weiter sich Severi dem Zentrum näherte, desto trauriger wirkte die frühere Millionenstadt. Nur wenige Menschen irrten in den Straßen umher. Auch ein paar Soldaten kamen ihm entgegen, aber im Grunde genommen war die Stadt leer.
    Severi erkundigte sich bei Passanten, die er traf, wo die Einwohner geblieben seien. Man erklärte ihm, dass die Stadt evakuiert worden sei, da Seuchen drohten. Das große Staubecken in der innersten Bucht des Finni­ schen Meerbusens hatte sich mit stinkendem Schlamm gefüllt, denn die Kanalisation der Stadt war schon seit Jahren verstopft gewesen, und der Müll hatte alles unter sich begraben. Es war ähnlich wie in New York gewesen, nur dass man hier von vornherein die Hoffnung aufge­ geben hatte, die Stadt zu retten. Das neue St. Peters­ burg wurde dem Vernehmen nach am anderen Ufer des Ladoga, in Tihvin, gebaut. Dort wohnten inzwischen angeblich bereits zwei Millionen Menschen. Tihvin war, wie man Severi erzählte, die größte ganz und gar aus Holzbalken gebaute Stadt der Welt. Da St. Petersburg untergegangen war, und es auch um Moskau nicht besser stand, sollte Tihvin die neue Hauptstadt Russ-lands werden, wenn es denn erst einmal fertig wäre. Unter Kriegsbedingungen dauerten Bauarbeiten lange. Aus den Palästen von St. Petersburg waren

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