Nördlich des Weltuntergangs
könne.
»Der Mensch lebt nicht ewig. Vita brevis, mediana longa«, sagte er.
Taina gab sich damit nicht zufrieden. Sie verlangte Maßnahmen. Ihr Mann würde sterben, wenn man ihn nicht operierte.
Widerwillig erkundigte sich der Arzt nach den Mög lichkeiten für eine Operation im Haus. Wie sich zeigte, war die Warteschlange so lang, dass Eemeli erst neun undzwanzig Jahre später mit seiner Bypassoperation würde rechnen können.
Eemeli überschlug, dass er dann hundertvier Jahre alt wäre. Es schien ihm sinnlos, sich in eine Schlange einzureihen, die erst hinter der Tür des Totenreiches endete.
»Ein Privatpatient kommt natürlich schneller dran, vorausgesetzt, er verfügt über die nötigen finanziellen Mittel«, verriet der Arzt. Er holte einen kleinen Zettel hervor, auf dem die Preise für die einzelnen Operationen in Euro aufgelistet waren. Er erklärte, dass die Summen ohne weiteres in Lebensmittel umgerechnet werden konnten. Der Kurs sei günstig, wie er betonte.
Taina informierte sich, welchen Preis das Leben ihres Mannes hatte. Für eine Bypassoperation wurden 6000 Kilo gesalzener kleiner Maränen verlangt. Im Vergleich dazu kostete eine Blinddarmoperation 1500 und Hämorrhoiden 500 Kilo. Billiger waren Probleme mit der Prostata, eine solche Operation kostete nur 100 Kilo. Weitaus teurer hingegen würde das Einsetzen eines künstlichen Gelenkes, dafür waren 100 Fässer Salzfisch zu berappen.
Eemeli und Taina liefen deprimiert kreuz und quer durch Helsinki. Das Reichstagsgebäude war jetzt Sitz des Stabes der Europäischen Union. Das finnische Parlament war in die Räume der ehemaligen Nationalen Aktienbank, in alten Zeiten unter dem Namen Kamp bekannt, umgezogen. Die Anzahl der Abgeordneten war auf die Hälfte geschrumpft und betrug nur mehr einhundert. Das lokale Parlament tagte einmal im Jahr, und auch dann nur für zwei Wochen. Welchen Sinn hätte es gehabt, zu debattieren und Gesetze zu erlassen, die man nicht durchsetzen konnte. Finnland beschließt, Europa erlässt.
Das im vergangenen Jahrtausend an der Bucht von Töölö gebaute prachtvolle Opernhaus war jetzt ein inter nationales Heim für Kriegsinvaliden. Auf dem Hof hink ten Italiener und Franzosen an Krücken herum. Die in
den Gefechten des Atomkrieges geschundenen Kämpfer halfen sich gegenseitig, Personal war anscheinend für Versehrte nicht vorgesehen. Der Hauptsaal der Oper war offensichtlich der Speisesaal, denn auf der Bühne stand eine Gulaschkanone. Die gute alte Finlandiahalle am anderen Ende der Bucht sah sehr deprimierend aus, sie war mit teergetränkten Schindeln abgedeckt worden. Das düstere Gebäude spiegelte sich im schwarzen Was ser, ein wahrhaft harmonisches Bild.
Taina führte Eemeli auf den Friedhof von Hietaniemi. Dort gab es viele hungrige Eichhörnchen. Eemeli wollte gern das Grab des vor Weihnachten verstorbenen Mau no Koivisto sehen. Der ehemalige Präsident war neun undneunzig Jahre alt geworden. Sein Grabstein war aus rotem Granit und hatte eine wuchtige Form, die Vorder seite war glatt geschliffen. Auf dem Grabhügel lagen zwei vertrocknete Sträuße, der eine trug eine Vignette mit einem Gruß der Arbeitersparbank.
In diesem Moment näherten sich zwei betagte Damen mit frischen Blumensträußen. Die eine war bestimmt an die hundert Jahre alt, und auch die andere war nicht mehr jung. Taina fing sofort an zu zischeln und zog Eemeli vom Grab weg.
Es war Frau Tellervo Koivisto, die da herankam, ge stützt von ihrer Tochter Assi. Die Frauen brachten rote Nelken zum Grab des Ehemannes und Vaters, Blumen waren schwer zu haben in diesen Krisenzeiten. Tellervo Koivisto übergab den Strauß ihrer Tochter, die ihn auf den Hügel stellte. Danach verbrachten die beiden Da-
men eine Schweigeminute am Grab. Taina rechnete schnell aus, dass Assi jetzt bereits über sechzig sein musste, Herrgott, wie schnell doch die Zeit verging.
Die beiden stillen Damen verließen den Friedhof und gingen durch das Tor auf die Straße, wo sie in eine Kutsche stiegen. Ein Adjutant war nicht zu sehen. Assi nahm die Zügel. Eemeli fand, dass seine eigene Kutsche daheim in Ukonjärvi viel stattlicher aussah. Auch das Pferd der Koivistos machte nicht gerade den besten Eindruck. Vielleicht standen sich die alten Damen wirt schaftlich nicht gut? Da ging es ihnen wohl so wie den meisten anderen Leuten dieser Tage in Finnland.
Bei diesen Gedanken erinnerte sich Eemeli an seinen geplanten Besuch im Finanzamt, den er umgehend
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