Nördlich des Weltuntergangs
coronarius, mit anderen Worten, der Herzmuskel bekommt keine Zufuhr von Blut und Sau erstoff, da die Adern verengt und vielleicht schon ver stopft sind. Die in diesem Stadium einzig erfolgreiche Behandlung wäre eine Bypassoperation.«
Eemeli Toropainen starrte auf die Abbildung mit dem aufgeschnittenen Herzen. Ihm wurde schwindelig.
»Ich denke, ich werde mich lieber in Helsinki operie ren lassen«, brachte er heraus, drückte die Hand aufs Herz und verzog sich nach draußen.
Der Arzt folgte ihm.
»Du glaubst wohl nicht an ein Gelingen der Operati on?«
Eemeli bemühte sich, den wohlmeinenden Sorjonen nicht zu beleidigen. Doch der provisorische Operations saal in dem ehemaligen Speicher schien ihm einfach nicht sicher genug. Außerdem hatte er sowieso etwas in Helsinki zu erledigen, er musste auf dem Finanzamt einige Steuerangelegenheiten der Gemeinde Ukonjärvi klären.
Seppo Sorjonen erzählte voller Stolz, dass er bereits eine Bypassoperation in der Praxis geübt habe, Eemeli wäre nicht sein erster Herzpatient. Im vergangenen Herbst hatte er beim bösartigsten Bock der Schafherde eben diese anspruchsvolle Operation vorgenommen, zu Studienzwecken, und zwar zur Zeit der Herbstschlach tungen.
»Hat der Bock überlebt?«, fragte Eemeli. »Ich habe irgendwie im Gefühl, dass ich es bei dir
bestimmt schaffen würde.«
Trotz dieser Überredungsversuche rüstete sich Eemeli für die Fahrt nach Helsinki. Seine Frau Taina begleitete ihn. Sie wollte ihren alten herzkranken Mann nicht allein reisen lassen. Seppo Sorjonen bat Taina, ihm für seinen Operationssaal Betäubungsspritzen und Nylon garn mitzubringen. Sohn Jussi brachte seine Eltern zum Bahnhof Valtimo, wo sie in den Zug stiegen. Nach vier undzwanzig Stunden fuhr die schnaufende Dampflok in den Bahnhof Helsinki ein.
Wie hatte sich doch Finnlands Hauptstadt inzwischen verändert! Das Bahnhofsgebäude war schmutzig und heruntergekommen. Nur wenige Menschen waren zu sehen, hauptsächlich Betrunkene und anderer Ab schaum. Das Dach über dem Westflügel der Halle war irgendwann eingestürzt, es wurde notdürftig durch Balken gestützt. Auf dem Steinfußboden standen Dreckpfützen. Im ganzen Gebäude war kein einziges Restaurant mehr in Betrieb. Vor der benachbarten Post saßen verkommene Gestalten um ein Lagerfeuer. Das Gebäude selbst hatte keine Fenster mehr. Auch der ehemalige Sokos-Komplex sah nicht besser aus.
Taina buchte eine Übernachtung am Erottaja, im Ho tel Klaus Kurki, das ebenfalls sehr verwahrlost war. Die Zimmer wurden kaum sauber gemacht, die Restaurants waren geschlossen, aber immerhin funktionierte die Heizung. Den Gästen wurde abgeraten, das Wasser aus der Leitung zu trinken, und so löschte Eemeli seinen Durst mit dem heimischen Bier aus Ukonjärvi.
Das Telefonbuch stammte aus der Zeit vor dem Krieg, und bei der Auskunft meldete sich niemand. So machte Taina sich in die Stadt auf, um zu erkunden, wo By passoperationen durchgeführt wurden. Sie kehrte ent täuscht zurück. Die Universitätsklinik war geschlossen. Das Krankenhaus von Jorvi arbeitete zwar, war aber nur mehr eine reine Entbindungsklinik. Die einzige Einrich tung, die halbwegs funktionierte und noch erwachsene Patienten aufnahm, war die uralte Chirurgische Klinik von Eira. Taina geleitete Eemeli dorthin.
Auch dieses Gebäude wirkte äußerst schäbig. Eemeli musste ganze zwei Stunden warten, bis er an die Reihe kam. Kranke Menschen in abgetragener Kleidung füllten die Gänge. Die früher so weißen Kittel der Ärzte schrien danach, gewaschen zu werden. Als Eemeli ins Sprech zimmer gerufen wurde, registrierte er, dass der Arzt eine Schnapsfahne hatte.
Die Untersuchung musste im Voraus bezahlt werden. Hundert Euro, was in Naturalien zehn Kilo besten Rind fleisches bedeutete. Feilschen war sinnlos, es warteten genug andere Patienten.
Die Untersuchung war oberflächlich, und der Arzt kam zu dem Schluss, dass Eemeli herzkrank sei. Er holte ein kleines Röhrchen mit gelben Tabletten aus der Tasche. Die sollte Eemeli jedes Mal schlucken, wenn er Herzbeschwerden hatte.
Taina erklärte, dass die Tabletten Eemeli nicht halfen. Er brauche eine Bypassoperation, diese Diagnose hatte der Doktor zu Hause gestellt.
Der Arzt verweigerte jedoch die nötige Operation. Er sagte, er sei Trinker und könne daher für nichts garan tieren, wenn er zum Messer griff. Außerdem sei der Patient bereits in einem Alter, dass er durchaus Jünge ren Platz machen
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