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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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antrat. Er monierte dort den Tragfähigkeitsindex für Ukonjärvi, der um mehrere Prozent heraufgesetzt wor­ den war, angeblich wegen des raschen ökonomischen Wachstums der Gemeinde.
    Es zeigte sich, dass diese Entscheidungen seit dem vergangenen Herbst in Brüssel getroffen wurden. Even­ tuelle Beschwerden musste Eemeli also dorthin richten.
    Dafür erhielt Ukonjärvi die Kirchensteuer für die letz­ ten Jahre erstattet. Nach den neuesten Bestimmungen brauchten die Kommunen keine Kirchensteuer mehr zu bezahlen. Der Beamte fragte Eemeli, ob er keine ent­ sprechende Mitteilung erhalten habe. Wie dem auch sei, er bekam einen Beleg, der ihn berechtigte, hundert Fässer Pemmikan im Lager der staatlichen Beschaf­ fungsstelle in Pasila in Empfang zu nehmen.
    Eemeli freute sich, denn mit der überraschenden Steuererstattung konnte er vielleicht die Bypassoperati­ on bezahlen. Beschwingt machten er und Taina sich auf nach Pasila, um die Fleischfässer zu holen.
    Das Lager befand sich in einem alten Felsbunker, in den eine Wendeltreppe aus Metall hinabführte. Die Fahrstühle funktionierten nicht. Je tiefer die Eheleute hinunterstiegen, desto ekelerregender stank es. Als sie schließlich in der riesigen Halle ankamen, waren sie kurz davor, sich zu übergeben. Das Fleisch in den Fäs­ sern, die sie bekommen sollten, war verfault. Sie hätten die Steuererstattung schon vor Jahren abholen müssen.
    Eemeli weigerte sich, die stinkende Ware zu quittie­ ren. Man händigte ihm ein fremdsprachiges Formular aus, mit dem er sich bei der Europäischen Kontroll­ kommission für verderbliche Lebensmittel beschweren konnte. Die Behandlung der Beschwerde würde vermut­ lich fünf bis sechs Jahre in Anspruch nehmen, wie man ihm sagte. Bis dahin wäre das Fleisch in noch schlim­ merem Zustand.
    Die Toropainens ließen die Steuererstattung in der Halle stehen. Eemeli verzichtete auch auf die Beschwer­ de, denn wegen seiner Herzkrankheit würde er vermut­ lich den Tag gar nicht mehr erleben, an dem der Vor­ gang abgeschlossen wäre.
    Eemeli wollte wieder nach Hause, und sei es, um zu sterben. Er wollte auf keinen Fall für seine Gesundheit auf die Wucherpreise der Chirurgen eingehen. Erpressen ließ er sich nicht, und wenn er es mit dem Leben bezahl­ te.
    39
    Während Eemeli und Taina Toropainen noch in Helsinki unterwegs waren, schleppte sich ein herzkranker Braunbär nach Ukonjärvi. Er stammte aus demselben Geschlecht wie jene Bärin, die einst den Postbeamten von Valtimo aufgefressen hatte, und war rein zufällig in gerader Linie verwandt mit dem grimmigen Tier, das die finnische Auswanderin Eveliina Mättö getötet hatte. Ursprünglich kamen die Petze aus Russland. Ihr Stammvater war zur Zeit der stalinistischen Verfolgung von den Ufern des Weißen Meeres nach Finnland ge­ wandert. Als ungebildetes Raubtier war er vermutlich nicht vor politischer Unterdrückung geflohen, sondern eine Eingebung hatte ihn durch die Wälder nach Westen getrieben.
    Der Bär war alt und krank. Bereits seit etwa zwei Jahren litt er an unangenehmen Herzbeschwerden. Sowie er eine Beute über eine längere Strecke verfolgte, begann sein Herz zu hämmern, und er musste die Jagd aufgeben. Die Krankheit lag in der Familie. Der Bär musste sich mit Aas und anderer provisorischer Nah-rung begnügen. Wenn es ging, verschlang er Schafe oder sah in Reusen nach, die in den kleinen Einödseen ver­ gessen worden waren. Er fristete kümmerlich sein Le-ben.
    Auf der Straße nach Valtimo traf er eines Morgens im August den ältlichen »Fliegenden Engel«, der nicht mehr so schnell auf den Beinen war wie einst. Eine gute Beu­ te, dachte sich der Bär und machte sich hoffnungsvoll an die Verfolgung.
    Die beiden langten mit großem Getöse vor Eemelis Herrenhaus in Ukonjärvi an. Der »Fliegende Engel« schrie vor Entsetzen, der Bär hechelte mit heraushän­ gender Zunge hinterher. Er war jedoch bereits so er­ schöpft, dass er neben dem Brunnen zu Boden sank, wobei er sich die Tatze aufs Herz drückte. Der »Fliegende Engel« stürmte ins Haus und berichtete, was passiert war.
    John Matto wollte das Tier sofort erschießen, doch Seppo Sorjonen ging dazwischen. Er brauchte dringend einen geeigneten Patienten, an dem er die Bypassopera­ tion üben konnte. Da sich Menschen kaum für medizi­ nische Versuche hergaben, konnte der Bär als Ersatz dienen, dachte sich Sorjonen. Der Organismus war fast identisch mit dem des Menschen, ein gehäuteter Bär sah manchem

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