Nördlich von Nirgendwo – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
müssen.
Bevor ich diese Nacht einschlief, lag ich im Dunkeln da und lauschte dem Wind, der vom See her wehte. Ich fragte mich, was zum Teufel eigentlich los sei, was Leon wohl im Schilde führe und weshalb Vargas mit mir essen wollte.
Schlaf einfach, sagte ich mir. Morgen wirst du es rausfinden.
Lunch auf einem Boot. Wie schlimm mochte das sein?
Kapitel 7
Die Kemp Marina liegt am St. Marys River, nicht weit vom Gebäude der Küstenwache, östlich der Soo-Schleusen. An einer Seite der Marina liegt ein alter Frachter – man kann ihn besichtigen und sich ansehen, wie die Seeleute monatelang auf ihm gelebt haben. Und dann ist da die Marina selber, wo es so ziemlich jeden Typ von Boot gibt, den man für Geld kaufen kann, von kleinen Segelbooten über Boote für Sportfischer bis zur Dreißig-Meter-Yacht. Ich stand am Eingangstor und stellte mir zwei Fragen. Die erste war: Wieso bin ich überhaupt hier? Letzte Nacht schien die Aktion Sinn zu haben. Jetzt im hellen Tageslicht war ich mir da nicht mehr so sicher.
Die zweite Frage war, wie zum Teufel ich das Boot finden sollte. Ich schritt zwei von den Docks ab. Einige Boote trugen ein kleines Schild mit dem Namen des Eigentümers. Die meisten nicht. Schließlich ging ich zum Schuppen am Eingangstor in der Hoffnung, dort den Hafenmeister oder den Dockmeister oder wie auch immer er sich nennen mochte zu finden.
Im Schuppen war eine Frau, die versuchte, mit zwei Fingern auf einer mechanischen Schreibmaschine zu schreiben, und dabei jede Menge Probleme hatte. »In ’ner Sekunde bin ich für dich da, Schatz«, sagte sie, während sie Jagd auf die nächste Taste machte. »Zweihundert Dollar«, sagte sie schließlich. »So viel kostet die Reparatur vom Computer. Zweihundert Dollar. Da denkt man doch, daß er die anlegen würde, oder etwa nicht?«
Ich hörte mir noch einige ihrer Ausführungen über den Mann an, der den Reparaturdienst für Computer nicht einschalten wollte. Ich hoffte, es handelte sich um ihren Ehemann, denn einiges von dem, was sie sagte, sollte man einfach nicht von jemandem sagen, mit dem man nicht verheiratet ist. »Tut mir leid, Schätzchen«, sagte sie und sah mich endlich an. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich suche das Boot von Winston Vargas.«
Sie rollte mit den Augen. »Winston Vargas, das ist aber auch ein ganz besonderer.«
»Wissen Sie, ob er zur Zeit hier ist? Er hat mir gesagt, ich soll ihn hier am Mittag treffen. Ich habe mich etwas verspätet.«
»Tut mir leid, ich sollte nicht so über ihn reden. Sie sind bestimmt ein Freund von ihm.«
»Nein, das würde ich nicht unbedingt sagen.«
»Na, okay. Wollen wir mal sehen. Sie gehen wieder nach draußen, gehen dann bis zum letzten Dock. Er hat den vorletzten Liegeplatz auf der rechten Seite.«
»Vielen Dank, Ma’am. Sehr liebenswürdig. Ich hoffe, daß Sie Ihren Computer bald repariert bekommen.«
»Vorher gebe ich keine Ruhe«, sagte sie und wandte sich wieder der Tipperei zu.
Ich ging bis zum letzten Dock und dann den ganzen Weg bis an dessen Ende. Die Sonne stand hoch am Himmel und spiegelte sich in den glänzenden Metallbeschlägen der Boote. Ein Mann saß auf seinem Deck auf einem Gartenstuhl und las Zeitung. Er sah zu mir hin und nickte. Das Boot neben ihm war möglicherweise die größte Yacht in der ganzen Marina. Es sah aus, als ob man darauf zwölf Leute bequem unterbringen könnte. Ich konnte mir nicht einmal ausmalen, was es wohl kosten würde.
Vargas’ Boot würde nicht ganz so groß sein, überlegte ich mir, aber ich wettete auf etwas ganz schön Protziges. Als ich zum vorletzten Liegeplatz rechts kam, war ich zunächst ein wenig überrascht. Das Boot konnte nicht mehr als zwölf Meter lang sein … Es hatte eine Kabine, aber nur mit drei oder vier Schlafplätzen. Verglichen mit anderen Booten hier war es regelrecht bescheiden. Aber wenn ich darüber nachdachte, machte das durchaus Sinn. Diese Megayachten waren unter Umständen verteufelt langsam. Vargas’ Boot hatte einen langgestreckten Rumpf und vermutlich, nach dem Heck zu urteilen, zwei Dieselmotoren. Es war auf Schnelligkeit ausgelegt.
Ich sah niemanden auf Deck, aber ich wollte nicht so einfach an Bord springen. Mir fiel ein, wie mir mal jemand erzählt hatte, das Boot eines Menschen sei so heilig wie sein Haus, eher noch mehr. Man betritt es nicht ohne Aufforderung.
»Ahoi«, rief ich. »Ist hier jemand?«
Die Kabinentür öffnete sich, und Vargas schaute heraus. Im Tageslicht sah er noch kahler aus,
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