Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
tauchten dann doch unvorhergesehene Probleme auf.
»Das Problem ist die Bürokratie«, sagte Willi. »Bis jetzt hat in der Abteilung jeder alles gemacht. Der, der sich mit der Software auskennt, weil er sie geschrieben hat, geht ans Telefon, wenn es um Support-Fragen geht. Jetzt war aber Support in der anderen Abteilung. Derjenige, der das Programm schrieb, musste erstmal demjenigen, der den Support machte, erklären, worum es ging. Anstatt, dass es effizienter wurde und wir weniger Personal brauchten, brauchten wir mehr Personal, weil alles doppelt und dreifach dokumentiert werden musste. Wir benötigten zusätzliche Experten, die sich um die Kommunikation zwischen den beiden Abteilungen kümmerten. Ich war bisher für beide Bereiche zuständig. Ich kenne die Prozesse, und wenn es ein Problem gibt, weiß ich sofort, was das bedeutet. Jetzt muss ich alles aufschreiben, damit jemand in der anderen Abteilung Zugang zu meinem Wissen hat, und ich muss auch für ihn zur Verfügung stehen, wenn er Fragen hat, anstatt das Problem direkt selbst zu lösen.«
Bald wurde den Mitarbeitern in den IT-Abteilungen klar, dass der Plan in der Form nicht funktionieren würde. Allerdings wurde das nur den Mitarbeitern klar. Die Manager glaubten noch an Hans. Also musste man die Sache in die eigenen Hände nehmen.
»Es gab dann Kollegen, die sagten, wir müssen dagegen kämpfen, damit das Management die Entscheidung rückgängig macht. Vor allem mein ehemaliger Chef.« Den Chef nennen wir Fritz. Er war jetzt einer der beiden Abteilungsleiter. »Fritz sagte: ›Ich kenne den Hans, der ändert nichts an dem Plan, er kann keine Fehler eingestehen. Er zieht es durch, und wenn alles den Bach runtergeht.‹«
Fritz’ Plan orientierte sich eindeutig an dem sächsischen Sprichwort »Die Weichen besiegen die Harten«. »Leute«, sagte er, »wir machen einfach alles ganz genauso, wie Hans es will. So wie er es haben will, wird es nämlich nicht funktionieren, und das wird er bald einsehen müssen.« Das Ziel war, von nun an alles buchstabengetreu nach Vorschrift zu machen. Begleitend hat Fritz mit Argusaugen die Problemfälle aufgespürt, wo etwas nicht geklappt hat, und die hat er dem Hans immer wieder unter die Nase gerieben.
Gleichzeitig hat Willi in der anderen Abteilung einen anderen Plan entwickelt.
»Andere Kollegen machten einfach alles nach wie vor auf die alte Weise – ich auch«, gestand er. »Sie sehen das Neue sowieso nicht als realistisch an. Man kann das als Mauern bezeichnen, aber ich bezeichne das als Absichern. Stichwort Urlaub: Vorher, als wir eine Abteilung waren, konnten wir koordinieren, wer wann in Urlaub geht. Wenn einer weg war, hat der andere übernommen. Jetzt kann man das nicht mehr koordinieren. Solche Sachen. Wenn also etwas nicht ging, machte ich es auf die alte Art. Die Kollegen und ich sorgen dafür, dass die Firma weiterläuft.«
Beide Methoden haben ihre Nachteile. Der Nachteil bei Fritz’ Methode war, das er gekündigt wurde.
Willi wurde nicht gekündigt – trotzdem sieht er auch in seinem Plan einen gewissen Nachteil. »Ich dokumentiere hier zwar alles, was nicht läuft, und warum ich es auf die alte Art mache, aber keiner schaut sich die Dokumentation an«, klagte er. »Sie wollen gar nicht wissen, dass es nicht funktioniert. Die Folge davon ist, dass Hans immer noch gut da steht. Das nervt ein bisschen. Er kann im Management behaupten, dass er die Aufspaltung in zwei Abteilungen erfolgreich durchgezogen hat, auch wenn es de facto nicht stimmt. Das überprüft ja keiner. Also steht er nicht schlecht da, für uns aber heißt das, wir haben noch mehr Arbeit und noch mehr Ärger deswegen und uns geht’s schlechter als zuvor.«
In diesem beeindruckenden Beispiel sind alle Nörgler: Hans hat Willi und Fritz angemosert in der Hoffnung, er könnte sie zu etwas bewegen; Willi und Fritz haben gekrittelt und gemauert in der Hoffnung, den Fortgang der Dinge zu verhindern. Unter Hans’ Führung ist von heute auf morgen ein blühendes Nörgelbiotop entstanden. Die einzige Frage ist: Welcher Nörgler wird am Ende Recht behalten?
Während ich diese Zeilen schreibe, ist der Kampf noch immer nicht entschieden. Dafür wurde vor kurzem das Spiel noch ein wenig interessanter gemacht.
»Nun hat Hans gesagt, ab jetzt werden keine Überstunden mehr bezahlt. Für diejenigen, die Dienst nach Vorschrift machen, kommt das wie gerufen. Wenn etwas nicht läuft, sagen sie, ›ich gehe jetzt heim, ich darf ja keine
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