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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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ganzen Völkern getragen werden und darauf abzielen, eine frühere Bewegung zu korrigieren oder zu zerstören.
    Beide Theorien sind falsch. Die richtige lautet: Alle große Umwälzungen der Geschichte wurden ernörgelt.
    Höchste Zeit, dass die Weltgeschichte umgeschrieben wird.
    Kaum ein historisches Ereignis hat die Welt so grundlegend verändert wie die Reformation. Sie hat das Rückgrat der katholischen Kirche gebrochen und die Menschen geistig befreit. Fortan durften sie nicht nur die Bibel selbst auslegen, sie durften auch sonst für sich selber denken, und der Weg war frei für den Siegeszug der Demokratie und der Wissenschaft, ganz zu schweigen von Errungenschaften wie Facebook, Google und Internet-Porno.
    Nicht zufällig war der Motor der Reformation ein Nörgler ohnegleichen – vielleicht der beste, den die deutsche Kultur je hervorgebracht hat.
    Martin Luthers Gesamtnörgelœuvre ist ein Musterbeispiel an revolutionärem Querulantentum. Schon sein erster Streich war eine Meisterleistung: Nicht ein, nicht zwei, nicht drei, nein, gleich 95 Thesen nagelte er an das Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg, wo er als Professor Theologie und Griechisch lehrte. (In Wahrheit handelte es sich um 95 Absätze einer einzigen These, aber schon als junger Mensch wusste er, dass ein Titel wie Eine These nichts hergibt.) Erst um die zehnte »These« herum kommt Luther in Fahrt und knöpft sich die Priester, Bischöfe und Ablassprediger vor. Anschließend will er dem Papst selbst an den Kragen. Jetzt versteht der Thesen-Leser erst, worum es Luther geht: ums Geld. Der Papst möchte nämlich mit dem Verkauf von Ablässen genug Kleingeld auftreiben, um sich in Rom eine neue Kapelle bauen zu lassen, und das will er ausgerechnet den Deutschen aus der Tasche ziehen. Der Papst war nicht der Erste und nicht der Letzte, der wusste, dass deutsche Investoren gern ihr Geld zum Fenster rausschmeißen. Das sieht Luther nicht ein. In These 86 fragt er, warum der Papst das Ding nicht »von seinem eigenen Gelde« baue? Luthers ganze Karriere war, so kann man sagen, auf unerbittlicher Papstbeschimpfung begründet. Zeitweise beschmiss er auch andere mit Dreck – gegen Juden hetzte er genauso wie gegen andere Religionsgemeinschaften sowie zur Sicherheit auch gegen Hexen –, aber er wusste, was sein Publikum wirklich hören wollte. Die Papstbeschimpfung machte Luther zum ersten Bestsellerautoren der westlichen Welt. Seine Flugschriften wurden übersetzt und in ganz Europa verteilt, um atemlos in Familienrunden, entzückt an Universitäten und empört auf Markplätzen vorgelesen zu werden. Er hat verstanden, was wir kleinen Otto-Normal-Nörgler mal erleben wollen – dass irgendein anderer Nörgler, der größer ist als wir, herkommt und das tut, wozu wir nicht den Mut haben: nämlich, die da oben unermüdlich mit Dreck zu bewerfen.
    »Unglaubliche Tyrannei«, »Gottlosigkeit«, »Zerstörungswerk« und »grenzenlose, schamlose Bosheit« wirft er dem Papst vor, und das sind noch die mildesten Ausdrücke. Das Papsttum insgesamt stamme direkt vom Teufel, schreibt er. »Ein Stall voller großer, grober, schändlicher Esel« seien der Papst und seine Kardinäle und überhaupt der ganze Vatikan, befindet Luther: »Hör nun her, Papstesel, mit deinen langen Eselsohren und verdammtem Lügenmaul!«, schnauzt er. »Unermesslich viel hast du gestohlen, mit Lügen, Intrigen, Gottlästerung und Abgöttereien und hast als ein Teufel gehandelt.« Dieser »verzweifelte, böse, listige Schalck« sei ein »so meisterlicher Gaukler«, dass er wie ein Magier sei, der mit einer schnellen Handbewegung den gutgläubigen Leuten Goldstücke ins Maul zaubert, aber wenn der Papst es tut, sind keine Goldstücke, sondern »Pferdedreck drinne«. Luther lästert sich in eine solche Wut hinein, das er zeitweilig nur noch stottern kann: »So, so, so soll man lügen und lästern, wer ein rechter Papst sein will«, zetert er, und: »Wenn ich mein Eselsgeschrei chika, chika erschallen lasse oder auch nur einen Eselsfurz lasse, so müssen die Menschen es alles für Artikel des Glaubens halten … Denn Gott ist nicht mehr Gott, allein der Esel ist Gott, da in Rom, wo große, grobe Esel auf anderen Eseln reiten, die besser sind als sie.«
    Da hat sich jemand keinen Maulkorb angelegt. Nichts konnte diese entfesselte Nörgelenergie mehr bremsen, und es kam, wie es kommen musste: Überall in Europa sprossen Religionsgemeinschaften aus dem Boden, die sich vom Papst

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