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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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nie zuvor. Die derzeitigen deutschen Politiker rüffeln geradezu um ihr Leben. Sie brauchen nur vor ein Mikro zu treten und schon entsteht ein wunderbares Geplärre. Sie üben Kapitalismuskritik, sie schelten Manager, drohen damit, ihnen ihre Boni zu kürzen, und wenn Firmen aus Deutschland wegziehen, ergreifen sie die Gelegenheit, Missmut und Betroffenheit zu äußern. Sie donnern wahlweise gegen die Arbeitslosigkeit, an der die anderen Parteien schuld seien, und gegen die Arbeitslosen, die selber schuld seien; sie beklagen die grassierende Ausländerfeindlichkeit sowie die Überfremdung der Kultur durch Denglisch und das Tragen von Kopftüchern. Sie mokieren sich sogar über die Politikverdrossenheit der Wähler, wohl in der Hoffnung, sie dadurch zu politischem Engagement zu motivieren.
    Es stimmt, die Sprache des politischen Nörgelns hat sich seit Luther geändert. Lang ist es her, dass ein Politiker einen Gegner einen »Esel, der auf einem Esel reitet« titulierte. Schade eigentlich. Doch auch wenn die Politiker von heute eine eher biedere Wortwahl treffen, so schaffen sie es dennoch, der deutschen Sprache immer wieder frische, neue Energie zu verleihen. Denn ein Großteil der neuen Worte, die jedes Jahr das deutsche Vokabular bereichern, stammt von nörgelnden Politikern. Und eben diesen Worten wohnt eine wunderbare Poetik inne. Was könnte den Untergang der Menschheit besser ausmalen als das Wort Heuschrecken ? Oder Kopftuchmädchen ? Da habe ich gleich Visionen von ganzen Schwärmen seltsamer, verhüllter Wesen, die von Horizont her bedrohlich auf mich zuströmen … dann, im letzten Moment, erkenne ich: Das sind Mädchen! Und ich ergebe mich freiwillig. Letztens musste ich bei einem Spaziergang in Kreuzberg an die Parallelgesellschaft denken, und ohne dass mir das bewusst war, bestellte ich einen Paralleldöner , aber ich hatte nur Euros dabei und der Verkäufer nahm ausschließlich Parallelgeld an. Da hatten wir ein Parallelproblem und gerieten beinahe überkreuz. Die hochgradig poetische Sprache des Politplärrens ist wie geschaffen für die Dichter dieses Landes.
    Einer der beliebtesten und bewährtesten Begriffe aus dieser Sparte ist soziale Kälte . Eine poetische Formulierung, die man förmlich spüren kann: Es fröstelt mich, wenn ich sie nur höre. Der Begriff ist so aufwühlend wie geschlagenes Hündchen oder weinendes Kind , so dass die Menschen draußen im Lande sich kaum nachzufragen trauen, was damit gemeint ist. So kann regelmäßig beschwört werden, dass es in Deutschland immer sozial kälter wird, ohne dass die Temperatur sich jemals ändert. Zwar bleibt Deutschlands soziales Netz beharrlich eines der besten und teuersten der Welt. Doch soziale Kälte ist einfach so stark, dass keiner fragt, wie kalt es eigentlich ist. Das ist ein Wort, das seine Arbeit richtig macht.
    Doch das eigentlich Schöne an dem Begriff: Er hat gar keine Bedeutung! Er ist wie der Blanko-Stein beim Scrabble: Man kann ihn überall einsetzen. Oder wie sonst soll man erklären, dass dieser Terminus, der eigentlich klar im linken Spektrum liegen müsste, in der Praxis von allen Parteien gleichmäßig verwendet wird, und jedes Mal mit einer anderen Definition? Regelmäßig wirft die SPD der CDU soziale Kälte vor; im Gegenzug wirft die CDU der SPD soziale Kälte vor. Die Grünen und die Linken werfen gern mit diesem Ausdruck um sich, ebenso die FDP und die NPD, genau wie die Tierschutzpartei und die Grauen Panther. In Parlamentsdebatten wird soziale Kälte häufiger in den Mund genommen als jeder andere Begriff, mit Ausnahme von Steuererhöhung . Eine halbherzige innenpolitische Debatte ohne den Vorwurf der sozialen Kälte wäre wie Sex ohne Küssen, und danach fühlt sich ein deutscher Politiker irgendwie leer und schmutzig.
    Ebenso häufig wie die Fälle von erfolgreichem politischen Nörgeln sind die Beispiele, wo es misslingt.
    Karl Marx muss man leider zu den Nörgler-Losern rechnen, die ihr Leben lang keinerlei Krittelkompetenz vorweisen konnten. Der Mann konnte einfach keinen klaren Satz verfassen.
    Wie groß Marx’ Versagen war, sieht man am Vergleich mit Charles Dickens.
    Marx war weder Wirtschaftswissenschaftler, Journalist, Politiker oder gar Arbeiter, er war Philosoph. So schrieb er auch. Er prangerte die soziale Ungerechtigkeit und die Ausbeutung des Arbeiters mit sehr vielen Worten an, aber mit hoch philosophischen Worten, bei denen nur einige wenige sich trauten, so zu tun, als ob sie sie verstehen

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