Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
abwandten, und sie hatten so viel Zulauf, dass weder Kirche noch Fürst sie noch verhindern konnten.
Nach der luther’schen Reformation ist der westlichen Welt erst eine ganze Weile später wieder eine wirklich wichtige Revolution gelungen: der amerikanische Unabhängigkeitskrieg. Und dieser hätte ohne den großen Streiter Thomas Paine keine Chance gehabt.
Es war für die kampflustigen amerikanischen Kolonien ein Leichtes, in eine Reihe von bewaffneten Scharmützeln mit dem Mutterland England zu geraten, aber sich völlig von der Krone loszusagen, das war dann doch ein sehr großer Schritt ins Ungewisse. 1776 begriffen sich die meisten Amerikaner noch als treue Diener des Königs. Die Monarchie, eine uralte, von Gott gesegnete Institution zu verwerfen und dafür das noch völlig unerprobte System der Demokratie zu errichten, das war für sie undenkbar. Um sie zu diesem Schritt zu bewegen, musste erst ein richtiger Nörgler her.
Genau wie Luther entdeckte auch Paine schnell, was dem Volk im tiefsten Herzen fehlte: einer, der den Mut hatte, in ihrem Namen die Obrigkeit mit Dreck zu beschmeißen. Das bedeutete: Der König musste dran glauben.
Thomas Paines erstes Geschoss gegen die Obrigkeit war das Quengel-Büchlein Common Sense (Gesunder Menschenverstand). Darin machte er den König so klein mit Hut. Nicht nur, dass die englische Krone ihre Kolonien mit »Feuer und Schwert verwüstet« hätte, monierte er, sie habe auch noch den »natürlichen Rechten der ganzen Menschheit den Krieg erklärt«. Die Monarchie an sich sei »Tyrannei«, »absurd« und »lächerlich«, sie sei darüber hinaus in vorchristlicher Zeit, also von gottlosen Heiden erfunden worden und überhaupt die »erfolgreichste Erfindung des Teufels, die es jemals gab«.
Noch im selben Jahr wurde die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben.
Und weil die Europäer den Amerikanern alles nachmachen müssen, brach wenige Jahre später auch in Frankreich eine Revolution aus. Auch da musste Paine mitmischen. Also wurde er nach Frankreich importiert und für die französischen Brüder schrieb er gleich sein Nörgel-Meisterwerk Rights of Man (Die Rechte des Menschen), in dem er nicht nur die Aristokratie niedermachte, sondern so gut wie jede andere überkommene, veraltete europäische staatliche Institution, die ihm nur einfiel. Er wurde wie ein Genie gefeiert.
Dann machte er seinen größten Fehler.
Es ist ein Naturgesetz, dass alle Nörgler heimlich davon träumen, eines Tages mehr zu tun als nur zu stänkern – obwohl es das Einzige ist, was sie jemals gelernt haben –, nämlich, selbst in der Politik mitzumischen. Dieser Wunsch scheint aus der gleichen Ohnmacht heraus zu entstehen, aus der das Nörgeln selbst erwächst: Wer gern über Politik vom Leder zieht, bildet sich oft ein, dass er alles besser machen könnte, wenn er bloß die Chance bekäme. Paine bekam diese Chance: Er wurde ins französische Parlament berufen, obwohl er kein Wort Französisch sprach. Schnell bekam er zu spüren, dass Nörgelei und politische Realität zwei verschiedene Paar Schuhe sind.
Als der gut gemeinte Vorschlag aufkam, den König zu enthaupten, sagte Paine: »Moment mal, so habe ich das nicht gemeint! Würde es nicht reichen, ihn des Amtes zu entheben und mit einer kleinen Pension nach Australien zu verbannen?« Naiverweise stimmte er gegen den Tyrannenmord. Wenig später wurde er von Robespierre, der keine halben Sachen machte, verhaftet und zum Tode verurteilt. Ein Jahr lang bangte er im Gefängnis um sein Leben. Dem Schafott entging er zwar, aber nur durch einen bürokratischen Fehler. Bevor Robespierre den Fehler berichtigen konnte, wurde er selbst von jemand anderem, der ebenfalls keine halben Sachen machte, enthauptet, und Paine wurde wieder freigelassen.
Er hatte seine Lektion gelernt. Paine kehrte in die professionelle Nörgelei zurück, und diesmal war keiner vor ihm sicher. Napoleon titulierte er als »größten Scharlatan, den es jemals gab«; er krittelte an der Religion und vor allem am Christentum herum, und dann war es kein großer Schritt mehr zu The Age of Reason (Zeitalter der Vernunft), worin er sogar Gott so klein mit Hut machte. Für eine Revolution gegen Gott konnte er aber dann doch niemanden bewegen. Er starb verstoßen, vergessen, verspottet – dennoch als Nörgelgenie schlechthin. Weiter als er kann man in dieser Disziplin nicht gehen.
Ich kann mit Genugtuung berichten, dass die Tradition der Politmotzerei heute so lebendig ist wie
Weitere Kostenlose Bücher