Noir
unterm Kissen.
Er musste sich aufraffen. Wenigstens wieder arbeiten gehen. Was Katjuscha im Museum verdiente, reichte nicht aus, um die Miete und den Lebensunterhalt für beide zu bezahlen. Eigentlich sollte sie sich voll und ganz auf ihre Dissertation konzentrieren.
Als er hörte, wie sie nach Hause kam, durchirrte ihn ein hoffnungsloser Impuls, aufzustehen und sie zu begrüßen. Aber er lag wie gelähmt da, und im Grunde schämte er sich zu sehr, um ihr gegenüberzutreten. Er schloss die Augen. Das war der Rhythmus seiner Existenz geworden: das Öffnen und Schließen seiner Augen. Licht und Dunkelheit.
Katjuscha war in der Küche. Er hörte Geschirr klimpern, den Wasserhahn. Es war schon spät. Vielleicht war sie noch in der Bibliothek gewesen, um zu arbeiten. Vielleicht hatte sie Simone getroffen. Vielleicht, vielleicht.
Er lauschte den Geräuschen, die sie am anderen Ende der Wohnung verursachte, und konnte nicht leugnen, dass es ihn freute, sie dazuhaben. Nicht direkt bei sich. Nur zu wissen, dass sie in der Nähe war und ihn so viel an ihrem Leben teilhaben ließ, wie er mit seinem Gewissen vereinbaren konnte: indem er ihr lauschte.
Ein paar Minuten später schaltete sie den Fernseher an. Manchmal aß sie ihr Abendessen vor dem Fernseher und trank Wein. Dann feilte sie sich die Nägel oder cremte sich die Füße ein, machte irgendwas, was Frauen vor dem Fernseher so machten. Das waren die Momente, in denen ihm öfter als sonst auffiel, dass sie älter wurde und irgendwann sterben würde, womöglich allein.
Ihre Schritte näherten sich. Sie klopfte an seine Tür, ehe sie eintrat. «Schläfst du?»
Er drehte den Kopf und öffnete die Augen. «Hey.» Seine Stimme kam ihm selbst fremd vor, weil er sie so lange nicht mehr gehört hatte.
«Im Fernsehen kommt
Gilda
. Läuft schon seit zwanzig Minuten. Wollen wir zusammen gucken? Ich mach dir dabei eine Gesichtsmaske.»
Er überlegte einen Moment. «Ohne Maske, bitte.»
«Komm!»
Er richtete sich auf und blieb kurz sitzen, bis sein Kreislauf sich beruhigt hatte und der Schwindel verebbte. Dann tapste er ins Wohnzimmer und ließ sich neben Katjuscha auf der Couch nieder.
«Du spinnst wohl, ohne Socken rumzulaufen. Wenn man erkältet ist, sind warme Füße das A und O.»
Bevor er etwas sagen konnte, huschte Katjuscha nach nebenan und kam mit einem Paar Wollsocken und seinem grauen Zipper zurück. Sie legte ihm die Stoffjacke über die Schultern.
Er warf ihr einen dankbaren Blick zu – dankbar, dass sie immer noch an seiner Erkältung festhielt – und zog sich die Socken an. Auf dem Wohnzimmertisch lagen ihr Handspiegel und eine Schüssel mit einer selbst angerührten Paste, die sie, sobald sie es sich im Schneidersitz gemütlich gemacht hatte, mit einem Pinsel auf ihr Gesicht schmierte.
Er wandte sich dem Fernseher zu und verfolgte den Schwarzweißfilm, den er mindestens schon dreimal mit Katjuscha gesehen hatte.
Nach ein paar Minuten passierte das, was eigentlich von vornherein zu erwarten gewesen war. Er fühlte etwas Kaltes, Feuchtes auf der Wange und wagte nicht, sich mehr zu regen, als resigniert die Augen niederzuschlagen.
«Das ist eine meiner Lieblingsstellen, pass auf», murmelte Katjuscha, dabei sah sie selbst gar nicht den Film an, sondern ihn, wie er unter einer dicken Schicht grünlicher Paste verschwand.
Rita Hayworth sang gerade, als es an der Haustür klingelte.
Katjuscha fasste nach seinem Arm und warf einen Blick auf die neue Uhr. «Halb elf. Wer ist denn das jetzt noch?» Sie lief in die Diele. Er machte den Fernseher leiser, um zu hören, was sie in die Gegensprechanlage sagte.
«Ja? Ach ja, Moment …» Sie hängte den Hörer zurück und öffnete die Tür. «Nino? Deine Freunde.»
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13 .
E r hievte sich vom Sofa hoch und starrte Katjuscha an.
«Bist du verabredet?»
Er schüttelte den Kopf.
Aus dem Hausflur erklangen Schritte. Kaum hatte er den Türrahmen erreicht, traten ihm auch schon Julia und Philip entgegen.
«Äh, hi!» Julia umarmte ihn zaghaft, wobei sie achtgab, nicht mit seiner Gesichtsmaske in Berührung zu kommen.
«Wie siehst du denn aus.» Philip lachte, als sie einen Handschlag tauschten.
«Was wollt ihr?»
«Was ist denn das für eine Begrüßung? Lass uns vielleicht mal rein?»
Widerwillig trat er zur Seite, um ihnen Platz zu machen.
«Scheiße!» Philip kriegte sich gar nicht mehr ein wegen der Maske. Julia schien eher verstört als amüsiert, was sie aber nicht daran
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