Noir
nicht?»
«Wozu?»
Als wäre das offensichtlich, breitete Philip ihm die Hände aus. «Checkst du es nicht! Du kannst alles fragen und rausfinden.
Alles
.»
«Außerdem fühlt es sich ziemlich gut an», murmelte Julia.
Er blickte zur Seite. Philip und Julia beobachteten ihn. Wahrscheinlich dachten sie, dass er wichtige Argumente gegeneinander abwog, aber sein Kopf war vollkommen leer. Schließlich atmete er tief durch und merkte, dass er die vergangene halbe Minute wach geschlafen hatte.
«Was ist jetzt?», wollte Philip wissen.
«Wenn ihr es unbedingt machen wollt, könnt ihr doch zu Monsieur Samedis Séancen gehen.»
«Nein, da sind so viele andere dabei, dass man höchstens mit einer Frage drankommt.» Er atmete ungeduldig aus. «Also, bist du jetzt dabei?»
«Ich bin krank.»
«Scheiße, Mann!» Philip sprang auf. Dann nahm er Julias Hand und zog sie zur Tür. Als seine Hand schon auf der Klinke lag, drehte er sich noch einmal zu Nino um. «Ich war nicht sauer, als du dran warst. Du weißt, was ich meine. Wenn du es dir anders überlegst, ruf an.»
Dann öffnete er die Tür, und Nino hörte, wie er sich höflich von Katjuscha verabschiedete.
«Überleg es dir», wiederholte Julia eindringlich.
Sobald sie gegangen waren, setzte er sich neben Katjuscha aufs Sofa und starrte abwesend in den Fernseher. Inzwischen hatte auch sie sich die Gesichtsmaske abgewaschen und rieb ihre Haut mit einer streng riechenden Creme ein.
«Wieso rauchst du denn?», fragte sie kopfschüttelnd. «Igitt, lüfte wenigstens dein Zimmer.»
«Du hast selbst mal geraucht. Und das Fenster ist schon offen.»
Eine Weile saßen sie schweigend da und sahen fern. «Warum waren deine Freunde nur so kurz da?»
«Sie haben gefragt, ob ich mit ihnen ausgehen will.»
«Aha. Wohin?»
«Egal, lass uns
Gilda
weitergucken.»
Als der Film zu Ende war, umarmte er sie und stand auf. «Ich leg mich schlafen. Gute Nacht.»
«Gute Nacht.» Sie schraubte ihren Cremetiegel zu und warf einen kurzen Blick zum Telefon, das daneben auf dem Tisch lag. Er begriff, dass sie die ganze Zeit darauf gewartet hatte, Simone anzurufen. Bestimmt wollte sie auch ihr gute Nacht sagen, erzählen, wie der Tag gewesen war. Der Abend mit ihm. Und ja,
ihm geht es schon viel besser, ich schätze, morgen werde ich bei dir übernachten können, sicher …
«Grüß Simone, wenn du sie noch anrufst», hörte er sich sagen, und bevor er ihrem Blick begegnen und sehen konnte, ob er ihre Gedanken wirklich erraten hatte, wandte er sich ab und verzog sich in sein Zimmer.
Er konnte nicht einschlafen. Dass Philip und Julia einfach hergekommen waren – dass sie auf seinem Bett gesessen hatten –, ließ ihm keine Ruhe. Er stand auf, riss das Laken und die Bezüge ab und holte frische aus dem Schrank in der Diele. Die Tür zu Katjuschas Zimmer war von einem Lichtrahmen umrissen, sie musste also noch wach sein. Vielleicht las sie ein Buch, oder sie lag mit dem Telefon am Ohr da und horchte, was er draußen trieb.
Er kehrte mit dem Bettzeug in sein Zimmer zurück, bezog seine Decke und das Kissen und die Matratze und legte sich wieder hin. Doch danach ging es ihm nicht besser. Es roch noch nach dem Rauch ihrer Zigaretten.
Nach einer halben Stunde stand er wieder auf, lehnte sich aus dem Fenster und zündete sich eine Kippe an. Das Stechen auf dem Grund seiner Lungen war ein tröstlicher Schmerz. Er atmete ihn in die Nacht hinaus und beobachtete, wie der Rauch im orangen Laternenschein zerfiel wie eine Geistererscheinung. Aber da, der Rauch löste sich gar nicht auf – hinter dem Licht waberte er weiter, tiefer in die Finsternis. Er inhalierte noch einmal und stellte sich dabei vor, die Zigarette hätte ihre wahre Bestimmung an ihren Lippen gefunden. Blütenblätterlippen, die sich um den Filter zur Knospe schlossen. Wie der Qualm durch ihren kleinen, feuchten Mund gesaugt und in ihren kleinen, pinkfarbenen Lungen aufquellen würde.
Er ließ den Zigarettenstummel fallen, setzte sich aufs Bett und sank nach hinten, schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Aber seine Gedanken ließen sich nicht einfangen und nicht lenken.
Philip und Julia. Eigentlich eine vorhersehbare Entwicklung. Philip mit seinen tausend Kontakten in die Nachtwelt, dieses Mischwesen eines Künstlers und eines Proleten, verkörperte für Julia wahrscheinlich genau die großstädtische Kreativszene, zu der auch sie gehören wollte. Er war interessant für sie, weil seine Welt
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