Noir
schlafen», murmelte er.
Monsieur Samedi lehnte sich zurück. «Natürlich. Noir wird dich nach Hause fahren.»
«Wer?»
Monsieur Samedi wies hinter ihn. Als er sich umwandte, trat das Mädchen ein. Geduldig blickte sie zu ihrem Arbeitgeber. Asche rieselte von ihrer Zigarette auf den glänzenden Marmorboden.
«Du heißt Noir?»
«Hat sie sich noch nicht vorgestellt?», fragte der Araber. «Sie ist ein wenig schüchtern gegenüber Fremden. Nicht wahr?»
Sie nickte gehorsam.
«Bring Sorokin nach Hause. Er muss diese Nacht auf schweren Gedanken schlafen.»
Sie nickte und wartete, bis Nino sich erhoben hatte. Dann drehte sie sich um und verließ den Raum.
«Auf Wiedersehen», sagte Nino.
«Übermorgen. Abends um halb neun. Noir holt dich ab.»
Nino versuchte zu lächeln. «Mal sehen. Ich denke darüber nach.»
Monsieur Samedis Miene war wie versteinert. Ausdruckslos starrte er Nino an. «Übermorgen.»
«Also, bis dann. Gute Nacht.» Nino beeilte sich, das Mädchen einzuholen.
In der Ferne waren ihre Schritte kaum mehr zu hören.
Offenbar hatte sie nicht vor, sich die Fahrt mit einem Gespräch zu vertreiben. Schweigend tauchten sie in die durchleuchtete Stadt.
«Musst du nicht wissen, wo ich wohne?»
«Wo wohnst du?»
Er versuchte seine Hände zu lockern, die sich automatisch um die Lehnen gekrampft hatten, während sie über orangefarbene Ampeln raste.
«Du weißt doch, wo ich wohne», sagte er fast ärgerlich. Vermutlich hatten sie und Amor alles herausgefunden, was es über ihn zu wissen gab. Ihm wurde flau, als er sich vorstellte, dass Fremde seine Schwester beschatteten. Herausfanden, wie ihre Freundin hieß.
Bei jeder Kreuzung bog sie richtig ab. Er fragte sich, was sie sonst noch über ihn wusste. Über seine Freunde. Und Julia. Was das betraf, drängte es ihn, sie weiter aufzuklären.
«Ich war nie verliebt», sagte er.
Sie erwiderte noch immer nichts. Doch er sah, dass sie das Lenkrad fester umschloss. Sie hörte ihm zu.
Die Worte kamen langsam und schwer. «Ich habe nie an jemanden gedacht, so … wie man eben an jemanden denkt, wenn man verliebt ist.»
Woher er die Ruhe nahm, ihr diese Dinge zu sagen, wusste er beim besten Willen nicht. Er drückte die Zunge gegen den Gaumen und dachte nach, ohne einen Gedanken fassen zu können.
«Gut, einmal war ich in meine Englischlehrerin verknallt, aber das war in der fünften Klasse. Im Sommer hatte sie manchmal keinen BH an, und weil ich in der ersten Reihe … egal. Ich glaub nicht, dass es zählt, wenn man aufgrund eines fehlenden Kleidungsstücks verliebt ist. Aber das Fehlen – das scheint wichtig zu sein. Etwas muss fehlen, damit man sich verliebt. Weißt du, was ich meine?»
«Nein.» Aber es klang wie eine Lüge.
Er lauschte ihrem kleinen, schönen
Nein
nach.
«Normalerweise rede ich nicht so einen Unsinn. Irgendjemand hat mir mal gesagt, Männer lassen sich von den Augen verführen und Frauen von den Ohren. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber ich wusste immer, was Frauen von mir hören wollten. Bei dir weiß ich absolut nicht, was du hören willst. Aber ich versuche auch gar nicht, das Passende zu finden. Das ist das Erstaunliche. Ich hab nur das Bedürfnis, ehrlich zu sein. Es ist schwer zu beschreiben … vielleicht sollte ich erst mal nachdenken, bevor ich drauflos rede. Man kann ja nicht einfach ehrlich sein, man muss die Wahrheit immer irgendwie verpacken. Am liebsten würde ich mich bei dir gar nicht verpacken.» Er verstummte. Plötzlich schämte er sich, so selbstvergessen vor sich hin gesprochen zu haben.
Sie ließ das Fenster herunter und zündete sich eine Zigarette an. Ihr Ausatmen klang wie ein Seufzen. «Das stimmt nicht. Die Wahrheit muss man nicht immer verpacken. Aber wie man ehrlich empfindet, zeigt man in Handlungen, nicht in Reden.»
«Vielleicht ist es das! Es reicht mir nicht, nur mit dir zu reden. Es ist natürlich ein notwendiger Anfang, aber einer, den ich am liebsten überspringen würde.»
Sie rauchte und schwieg.
«Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch. Ich meine das nicht so … billig, wie es klingt.»
Sie sagte noch immer nichts.
«Heißt du wirklich Noir?»
Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er wollte sie ermuntern, auszusprechen, was in ihr vorging, doch dann entschied er, einfach abzuwarten. Mehrmals zog sie an ihrer Zigarette und blies den Rauch in den Fahrtwind hinaus.
«Du denkst über mich nach», sagte sie mühsam und verstummte wieder.
Er ließ den
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