Nomadentochter
aus. Die Seiten werden bis auf die Armlöcher zusammengenäht, dann fassen sie den Halsausschnitt ein und säumen den unteren Rand. Darunter trägt man einen Halbrock. Ich kannte niemanden, der so große Brüste gehabt hätte, dass er einen BH gebraucht hätte, außer mir! Frauen bedeckten ihren Kopf mit einem langen Schal, den man sich übers Gesicht zieht, wenn man mit einem nicht verwandten Mann ausgeht oder spricht. Die Beine jedoch gelten als provozierendstes Körperteil, und jede Frau, die es wagen würde, Shorts oder enge Hosen zu tragen, würde unweigerlich gesteinigt.
Ich fragte meine Freundin Sharla um Rat, und sie schickte mich zu »Banana Republic«. »Was haben Sie für die Wüste?«, fragte ich.
»Wir haben Khakihosen, Shorts und Safarihüte.«
»Ich brauche etwas, das fließend und lose ist, ohne Reißverschluss oder Gürtel«, trug ich mein Anliegen vor. »Hosen sind zu heiß für die Wüste.« Sie zeigte mir ein langes, schwarzes Kleid, und ich fragte sie, ob sie nicht etwas Farbenfroheres hätte. »Ich liebe bunte Kleider – sonst sehe ich ja aus wie die Wüste!«
»Kleider mit Blumenmustern gibt es im Moment nicht«, erwiderte sie. »Sie sind nicht im Trend.«
Das Einzige, das ich fand, waren indische Saris. Der Baumwollstoff erinnerte mich an daheim, und ich glaubte, vielleicht einen
guntino
, also ein Wickelkleid, daraus fertigen zu können, aber genau entsprach es nicht dem, was die Frauen zu Hause trugen. Der Saristoff ist viel länger, weil man ihn sich um die Taille wickelt, während somalische Kleider von den Schultern gerade hinunterfallen.
Ich wollte auch allen aus der Familie etwas mitbringen, vor allem meiner Mutter; aber auch das stellte sich als schwierig heraus. Was kam denn eigentlich in Frage? Nomaden besitzen keine unnützen Dinge, und ich hatte keine Ahnung, was sie wirklich brauchten oder sich wünschten. Meine Familie konnte mit der Skyline von New York oder Plastiknachbildungen der Freiheitsstatue nichts anfangen. Ein großer Stift mit einer Quaste am Ende oder ein T-Shirt mit dem Foto des Empire State Building würde meiner Mutter wohl auch kaum gefallen. Mit welchen Dingen konnte sie denn wirklich etwas anfangen? Ich kaufte Babyöl und Kokosnussöl für trockene Haut, weil das in der Wüste immer nützlich ist. Dazu kamen Kämme, gelbe Seife in Form eines Fächers, die gut roch, Haaröl, Zahnbürsten und Zahnpasta. Als ich ein Kind war, benutzten wir bestimmte Zweige, um uns die Zähne zu putzen, und ich fragte mich, ob es diese besonderen Büsche wohl noch gab. Außerdem existierten keine Zahnärzte in Somalia, und deshalb würden Zahnbürsten sicher nützlich sein. Für meine Mutter kaufte ich den prächtigsten Spiegel, den ich finden konnte. Ich wollte, dass sie einmal selber sah, wie schön sie ist. Das Einkaufen war eine schwierige Angelegenheit, und während ich die Abteilungen in den Kaufhäusern durchforstete, dachte ich immer nur nein, nein, nein. Nahrung und Wasser sind lebenswichtig, die Tiere und das Umherziehen ebenfalls. Aber Gegenstände sind meiner Familie nicht wichtig. Wir benutzen keine Kleenex, keine Papiertaschentücher, keine Wegwerfwindeln und auch kein Toilettenpapier oder Binden. Wenn Frauen ihre Periode haben, tragen sie ein altes, dunkles Kleid und bleiben im Haus. Wir benutzen keinen Lippenstift, kein Gesichtspuder, keinen Kajal oder Maskara. Es gibt keinen Strom für Föhn oder Toaster. Ich überlegte, ob ich Kleider mitnehmen sollte, aber Nomaden haben nur das, was sie am Leib tragen. Bei uns gibt es keine Schränke voller Nippes, und ich hatte nie besonderes Interesse daran, viele Kleider zu besitzen. Ich liebe es, sie vorzuführen, aber behalten will ich sie nicht.
Ich kaufte bunte Schals für die Frauen und Sandalen für meine Eltern. Wir essen keine Süßigkeiten, und Nahrungsmittel würden sicher verderben, bis ich anlangte – also nahm ich nichts Essbares mit. Meine Brüder sollten Rasierklingen bekommen. Für meinen Vater besorgte ich zunächst Kamm und Bürste, brachte das Set aber wieder zum Geschäft zurück, weil ich auf einmal sicher war, dass er es grässlich finden würde. Ich bin vor ihm davongelaufen und habe mich zwei Tage lang versteckt, als er nach mir suchte. Ich werde nie vergessen, wie er sagte: »Ich weiß nicht, von wo du stammst. Du bist keine von uns!« Wie soll man so jemandem einen Kamm und eine Bürste schenken? Alle Tränen, die ich nie geweint habe, weil ich nicht die Zeit dazu hatte – schließlich musste
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