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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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uns einmal gestritten hatten und nicht mehr miteinander sprachen, drängte sie ihn, mich wieder anzurufen. »Sei doch nicht albern«, sagte sie zu ihm. »Du bist der Ältere. Na los, ruf deine Schwester an – erzähl ihr das Neueste aus Afrika.« Tief im Herzen wusste ich, dass sie gut zu meinem Sohn sein würde.
    Verwandtschaft allein bedeutet noch gar nichts, zumindest kümmern sich Verwandte nicht automatisch auch um deine Kinder. Als ich noch ein Mädchen war und meiner Mutter ungefähr bis zu den Brüsten reichte, hielt ich mich einmal eine Zeit lang bei einer Tante auf. Einen Tag, nachdem ich angekommen war, wurde ich unglücklicherweise sehr krank. Abwechslungsweise schwitzte und fror ich, mein Kopf tat weh, und ich war so schwach, dass ich kaum sprechen konnte. Wahrscheinlich handelte es sich um Malaria. Meine Tante half mir jedoch nicht – sie ließ mich einfach daliegen und traf sich mit Freundinnen. Und ihrer Anweisung nach sollte ich auch noch ihre Kinder hüten; dabei konnte ich kaum aufstehen, ohne dass es mir schwindelig wurde. Ich sehnte mich so sehr nach meiner Mutter, dass ich zu Allah betete, er möge ihr alles erzählen. Sie kannte sich aus, wenn Leute krank waren, und in ihrer Nähe fühlte sich jeder besser, obwohl sie nur Rinde hatte, die sie unter besonderen, heilenden Gebeten zu Pulver verrieb. Manchmal vermögen eine Berührung und ein kühles Tuch genauso gut zu heilen wie Antibiotika. Meine Tante jedoch kochte mir noch nicht einmal einen Tee; sie benahm sich so, als sei meine Krankheit ansteckend – bei Dhura jedoch hatte ich das Gefühl, dass sie sich meines Kindes annehmen würde, als wäre es ihr eigenes. Es war für mich wichtig, dass Aleeke mit somalischer Lebensart vertraut würde. Von seinem Vater, der afrikanisches Denken nicht verstand, konnte er sie nicht lernen.
    Als ich anfing, mit Dana auszugehen, war er stolz auf meine afrikanische Herkunft. Er hielt mich für etwas Besonderes und Exotisches, aber später dann missbilligte er meine Art. Wir hatten zwar die gleiche Hautfarbe, kamen aber aus zwei unterschiedlichen Welten. Zum Beispiel sagte Dana: »Komm, wir kaufen uns auf dem Weg zum Kino eine Pizza.« So etwas tun wir nicht – Essen ist ein Geschenk Allahs. Wir waschen uns und sprechen ein Gebet, bevor wir zu essen beginnen. Zwar essen wir mit den Händen, aber langsam und mit Andacht. Ich fand es immer abstoßend, dass Amerikaner sich Essen in den Mund stopfen, während sie die Straße entlangspazieren. Dana respektierte mich nicht. Ich habe mich oft gefragt, ob es daran lag, dass ich in Afrika aufgewachsen war. Lag es daran, dass ich mehr Geld verdiente als er? Dass ich durch meine Modelkarriere bekannter war als er?
    Als ich das erste Mal in den Club kam, in dem Dana mit seiner Band spielte, fiel er mir sofort auf. Ich begann zu tanzen, damit ich ihn beobachten konnte. An diesem Abend trug ich einen grünen Pullover, hochhackige Stiefel, und meine Haare standen in wilden Locken um meinen Kopf. Später witzelte ich oft: »Ich will ein Kind von dir.« Das jagte ihm wirklich einen Schreck ein, und er hielt mich für verrückt. Als ich dann mit Aleeke schwanger war, erinnerte ich ihn daran. Schon beim allerersten Mal hatte ich das Gefühl, er sei der Richtige für mich.
    Dana beeindruckte mich von Anfang an mit seinem Verhalten. Er ist im Mittleren Westen aufgewachsen und war sensibel und schüchtern. Mir kam er aufrichtig und gutherzig vor. Es fällt mir nicht leicht, Männern zu trauen, und Danas rücksichtsvolles Verhalten zog mich magisch an – wegen meiner Infibulation sind meine frühen Erinnerungen an Sex schrecklich. Als ich noch sehr klein war, hörte ich eines Nachts Geräusche, die ich nicht verstand. Meine Mutter hatte ihre Schlafmatte auf der anderen Seite unserer Rundhütte, und mein Vater lag auf ihr. Sie sagte nichts, aber er bewegte sich seufzend und grunzend hin und her. Ich trippelte zu ihnen, um nachzusehen, was los war. Als ich meine Mutter am Arm zupfen wollte, flog ich auf einmal rücklings durch die Hütte. Ich war so erschrocken, dass ich keinen Ton von mir gab. Meine große Schwester Halimo nahm mich in die Arme und flüsterte: »Sei still, Waris. Lass Mama in Ruhe.« Als ich am nächsten Morgen meine Mutter danach fragte, scheuchte sie mich weg. Über Sex redete man nicht.
    Dana war sanft und herzerfrischend wie Regen am Morgen. Je sicherer und wohler ich mich bei ihm fühlte, desto mehr erwachte mein Verlangen. Es erregte mich schon, wenn er

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