Nomadentochter
Meine Mutter stillte mich und meine Brüder, bis wir drei oder vier Jahre alt waren und sie wieder ein Kind erwartete. In Somalia gibt es keine Babyflaschen und auch nicht genug Wasser, um sie zu reinigen. Wenn meine Mutter ihre hölzerne Milchschüssel sauber macht, spült sie sie mit frischem Ziegenurin aus und sterilisiert sie mit einer glühenden Holzkohle aus dem Feuer. Die Töpfe und das Geschirr schrubbt sie mit Asche und Sand. Die Brust meiner Mutter war meine einzige Babynahrung – und Essen und Trost zugleich. Als ich älter wurde, sah ich zu, wenn meine Mutter und die anderen Frauen stillten, und wollte es unbedingt auch selber probieren. Ich fragte mich, wie es sich wohl anfühlte; es sah so nett und vertraut aus. Die Babys schliefen bei uns und wurden auf dem Rücken der Mutter herumgetragen; wenn ein Baby weinte, nahm es die Mutter einfach nach vorne und legte es sich an die Brust.
Eines Tages, als ich noch so klein war, dass ich nicht über das hohe Gras hinausblicken konnte, passte ich auf den winzigen Sohn meiner Tante auf, während sie im Busch Holz sammelte. Er war nicht größer als ein Kamelkopf, und das Schutzamulett, das er trug, überragte seinen weichen Babybauch. Er begann zu schreien, und ich beschloss, etwas auszuprobieren. Ich wollte endlich auch einmal spüren, wie es sich anfühlte, ein Baby an der Brust zu haben. Als ich ihn an meine flache, kleine Brust drückte, griff er hungrig mit seinem Mäulchen danach. Es war ein bizarres Gefühl. Zuerst wirkte er überrascht, dass ich mich so anders als seine Mutter anfühlte. Ich drückte ihn fester an mich, aber da war nichts, was er mit den Lippen packen konnte. Da erst wurde er wirklich wütend, verzog das Gesicht, bog den kleinen Körper zurück und heulte gellend auf. Da ich ihn nicht beruhigen konnte, band ich ihn mir schließlich auf den Rücken, damit er mich nicht mehr sah und still wurde. Wahrscheinlich, dachte ich, wäre es mit eigenen Kindern leichter.
Eine meiner Schwestern starb kurz nach der Geburt. Die Brüste meiner Mutter waren voller Milch und schmerzten. Sie versuchte, sie zu melken wie eine Ziege, aber es kam nicht viel heraus. Nach ein paar Tagen waren sie gerötet und heiß, wenn man sie berührte. Die Adern standen hervor wie Baumrinde. Meine Mutter begann vor Schmerzen zu weinen, und ich bekam schreckliche Angst, weil sie sonst nur weinte, wenn mein Vater sie schlug. »Mama«, flehte ich, »lass mich dir helfen. Ich kann sie heraussaugen.« Ich saugte die Milch aus ihren Brüsten und spuckte sie auf den Boden. Das machte ich so oft, bis es ihr wieder besser ging. Sie schmeckte nicht wie die Milch, die ich sonst trank, sondern hatte einen üblen Geruch und Geschmack.
Als ich merkte, dass ich schwanger war, machte ich mir nicht die geringsten Sorgen. Ich hatte schon so viele Mütter mit Babys gesehen, dass ich das Gefühl hatte, genau Bescheid zu wissen. Im achten Monat flog ich zu einem Fototermin nach Spanien. Danas Familie war entsetzt – als ob Schwangerschaft eine Krankheit sei! Sie wollten unbedingt verhindern, dass ich ein Flugzeug bestieg und nach Europa flog. Meine Mutter und meine Tanten hörten indessen nie auf zu arbeiten, wenn sie schwanger waren. Also zog auch ich einfach einen weiten Pullover an und stieg ins Flugzeug. Die Fotos zeigen eine Frau, die vor Freude strahlt. Es war eine wunderbare Schwangerschaft; ich liebte meinen dicken Bauch und die Bewegungen des Kindes. Mir erschien es als Segen, ein neues Leben zu tragen – ich fühlte mich geehrt, dass Allah mir erlaubte, eine Familie zu gründen. Da ich mir sehr stark vorkam, vertraute ich darauf, dass mir nichts passierte.
Bei jeder Untersuchung fragte der Arzt: »Wollen Sie das Geschlecht des Kindes wissen?«
»Nein, das ist nicht nötig«, erwiderte ich. »Ich fühle, was es sein wird. Außerdem kannte ich bereits die Persönlichkeit des Kindes und wusste, wie es die Welt sehen würde. Das Einzige, worüber ich mir Gedanken machte, war, ob es zwei Arme, zwei Beine und zwei Augen haben würde. Jeden Tag betete ich inbrünstig um ein gesundes Baby. Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich viele Neugeborene rasch sterben sehen. Die Mutter wickelte sie in ein weißes Tuch, und der Vater legte sie auf ein Brett, bis Allah sie zu sich holte. Als Aleeke auf die Welt kam, wusste ich, dass meine Vorahnung richtig gewesen war. Aleeke ist mein kleiner Bruder, Alter Mann, der mir als leitender Geist zur Seite steht. Als die Hebamme mir Aleeke reichte,
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